Ich war jetzt gerade ganz weg

28. Januar 2015 Rosemarie Schmitt
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Etwas Neues zu sehen oder zu hören ist gar nicht so einfach, denn sofort beginnen wir, Vergleiche mit Bekanntem anzustellen. Der oder die ähnelt doch dem oder der, dieses Gemälde von X erinnert mich an die Werke von Y, die Musik hört sich so ähnlich an wie ... Trotz aller Weigerung meinerseits spielt mein Hirn immer wieder dieses "Lass-uns-Vergleichbares-suchen-Spiel" mit mir. So war es auch im Fall "Piano Solo".

Hirn: Ach, das hört sich an wie Einaudi.
Schmitt: hmmm...
Hirn: Das ist eindeutig Minimal Music.
Schmitt: Nein, nicht eindeutig.
Hirn: Und das klingt nach Keith Jarrett.
Schmitt: Ein wenig vielleicht.
Hirn: Ha! Aber das ist Debussy!
Schmitt: Ja, er hat es komponiert, aber so habe ich es noch nie gehört.
Hirn: Was ist das?
Schmitt: Er hat es selbst komponiert.
Hirn: "Rose"? Ich bin raus, das ist mir zu eigensinnig, zu eigen und zu sinnig. Und das mit dem "Minimal" nehm ich zurück!
Schmitt: Schön, dann kann ich jetzt in Ruhe zuhören.

ER, das ist der Pianist und Komponist Chris Gall, der 1975 in Bad Aibling geboren ist. Nach einer klassischen Ausbildung im Klavierspiel studierte er Jazz an einer der renommiertesten Universitäten, dem "Berklee College of Music" in Boston. Und beim Jazz ist er dann auch geblieben. Er spielte und spielt mit den ganz Großen dieses Genres und ist in etlichen CD-Aufnahmen zu hören. Jetzt, und ich sage endlich!, hat er sein erstes Solo-Album aufgenommen (GLM Music /EC 561-2). Der Titel der CD lautet ganz einfach "Piano Solo". Ganz einfach? Mitnichten! Chris Gall mag die Regel, die Form, und sagt, nur wenn er diese absolut beherrsche, könne er sie verlassen. Diese Einstellung finde ich großartig, wie auch seine Musik!

In einem Interview (http://blog.feuilletonscout.com) sagte Chris Gall:

"Ich hatte bei "Piano Solo" immer das Spielgefühl, dass ich in diesem Moment alleine spiele und das Programm bestimme. Dem wollte ich keinen anderen Titel geben."

Feuilletonscout: Was sollen die Menschen von Ihnen und/oder Ihrer Kunst in Erinnerung behalten?

Chris Gall: "Stimmungen. Ich denke, dass mein Soloprogramm die Möglichkeit bietet, die Leute auf eine Klangreise mitzunehmen und sie an einem Konzertabend an einen Platz bringt, an dem sie noch nicht waren. Wenn Sie dies in Erinnerung behalten und sagen können, danach haben sie sich anders gefühlt, als wenn Sie sich eine CD zu Hause anhören und anders als nach einem klassischen Klavierabend, dann empfinde ich das als Komponist und Pianist als größtes Kompliment. Wenn man es schafft, den Leuten Stimmungen mitzugeben, die sie ein bisschen aus ihrem Alltag herausreißen. Das ist eine große Herausforderung, aber auch das schönste Kompliment, wenn man hört: "Ich war jetzt gerade ganz weg.""

Geschätzter Herr Gall, ich war bisher nicht auf einem Ihrer Solo-Konzerte, doch ich hörte und höre immer wieder Ihre CD zu Hause. Sie nehmen mich auch von dort mit auf eine Klangreise, bringen mich an einen Platz, an dem ich noch nicht war. Ich bin dann immer "gerade ganz weg"! Ich versichere Ihnen, Sie schaffen es auch via CD mit Ihrem Solo-Programm, mich (und vermutlich viele andere Hörer) aus dem Alltag herauszureißen, und wenn er mir gefällt, ihn gar noch etwas zu verschönern.

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt