Hysterical Mining. Eine Ausstellung der Kunsthalle Wien
Hysterical Mining vereint künstlerische Positionen, die sich feministische Methodologien aneignen, um spielerisch den (sexistischen) Nährboden von Technologie zu testen, das ideologische Terrain des vermeintlich objektiven, universellen Wissens dahinter zu dekodieren und die Beziehungen zwischen Technowissenschaft und Geschlecht zu dekonstruieren beziehungsweise neu zu erfinden.
Auf der Suche nach Wegen, Technologie zu untergraben, hacken oder zu verque(e)ren, reflektieren die Künstler/innen immer wieder ihre Implikationen für gegenwärtige, aber auch zukünftige Lebensformen. Sie imaginieren kreative feministische Technologien, um Diskriminierungen zu ergründen und neue Rituale zu entwickeln, die auf einem respektvollen Zusammenleben der Spezies und auf der Ablehnung festgelegter Essenzen basieren. Die Künstler/innen feiern unbekannte, laienhafte Ansätze, liefern aber auch höchst fundierte Einblicke in technologische Entwicklungen
und Diskurse. Technologie wird dabei nie naturalisiert.
Der Titel Hysterical Mining funktioniert auf verschiedenen Ebenen. Hysterical, verweist mit selbstbewusster Ironie auf die sogenannten „Pathologien“ der Hysterie, ein vermeintliches Frauenleiden, das zuerst im Wiener Kontext von Freud diagnostiziert wurde. Die Ausstellung stellt diese geläufige Auffassung auf den Kopf und veranschaulicht Hysterie als gesunde Reaktion, die das weite Spektrum der Frustration im ungeschulten Umgang mit Technologie in sich vereint, und vor allem das intuitive Erspüren von Problemen meint. Bei Mining mag man zunächst an Datengewinnung oder an die Förderung seltener Mineralien für die Produktion technischer Geräte denken – eine Anspielung auf die Vorstellung, dass sich Wissen und Wert aus der Anhäufung von Informationen und Rohmaterialen speisen. In der Ausstellung verweist der Begriff in erster Linie auf das zu Tage treten versteckter beziehungsweise verborgener Mechanismen oder Bedeutungen. Mit der Umkehrung oder/und (Neu)Interpretation der einzelnen Worte und ihrer Kombination dient der binäre Titel der Überwindung von Dichotomien.
Welche kodierten Beziehungen gibt es zwischen Geschlecht und Technologie?
In westlichen Gesellschaften werden die Geschlechter maßgeblich durch Technologie vermittelt. Technische Fähigkeiten und Kompetenzbereiche sind zwischen und innerhalb der Geschlechter aufgeteilt, wodurch Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder geformt und Gender-Binaritäten verstärkt werden. Moderne Verknüpfungen von Technologie und „Maskulinität“ kommen in alltäglichen Gendererfahrungen, Erzählungen, Bildung, Einstellungspraktiken und Forschung zum Ausdruck und beeinflussen die damit einhergehende Machtverteilung auf globaler Ebene. Technologie erscheint als eindeutig „männlich“ kodierte Triebkraft des Fortschrittes und als Instrument zur rationalisierenden Unterordnung aller Körper, wenn nicht sogar der ganzen Erde. Ausgehend von technofeministischen Theorien und Spekulationen verortet Hysterical Mining verschiedene Formen der Diskriminierung in postindustriellen Gesellschaften und zeigt neue Möglichkeiten dagegen anzukämpfen.
Welche Vorurteile beeinflussen die Produktion, Verwendung und den Zugang zu Technologie und ihren politischen emanzipatorischen Potenzialen?
Hysterical Mining erfasst die geschlechtsspezifizierenden, ethnisierenden und rassifizierenden Vorurteile, die in vermeintlich neutralen Technologien eingeschrieben und verwurzelt sind. Die Ausstellung verhandelt Genderpolitik mit dem Ziel, tradierten Dichotomien entgegenzuwirken und sie zu widerlegen: männlich/weiblich, Geist/Körper, Objektivität/Subjektivität, Mensch/Maschine, Ratio/Fiktion – das Resultat vergangener und gegenwärtiger Wissenskonstruktionen zur Aufrechterhaltung kapitalistischer Interessen.
Wer ist dazu berechtigt, über Technologie und die damit einhergehenden Probleme zu sprechen?
Hysterical Mining bevorzugt bewusst unfachliche, intuitive und heterogene Positionen von sogenannten „digitalen Analphabeten“. Die Miteinbeziehung solcher Perspektiven eröffnet Gegenpositionen zu denen der „Experten“ und umgeht somit einige der Beschränkungen, die den gegenwärtigen Vorstellungen und Mechanismen des Technologischen innewohnen und die (Re)Produktion und Rhetorik der Technologie des 20. und 21. Jahrhunderts kontrollieren. Vor diesem Hintergrund berücksichtigt die Ausstellung alltägliche Auffassungen und Praktiken ohne dabei den Blick auf zukunftsweisende Innovation und Wissenschaft aus den Augen zu verlieren.
Wie gestaltet sich die wechselseitige Produktion in wandelnden Formationen?
Die Evolution von Hightech-Entwicklungen, allen voran künstliche Intelligenz, ging einher mit einer Vielzahl problematischer Vorstellungen und Binaritäten, basierend auf der Dominanz eines rationalisierenden, abstrakten Denkmodells, das Intelligenz in erster Linie als universell, nicht verortet, körperlos, neutral, harmlos – und zur Herrschaft berechtigt – wahrnimmt. Die Ausstellung analysiert nicht nur die materiellen Welten, die aus der Technologie hervorgegangen sind, sondern auch ihre Rolle bei der Formung lokaler sowie globaler Machtkonfigurationen, Identitäten und Lebensweisen unter Berücksichtigung radikaler feministischer Konzepte, die von den 1970er Jahren bis heute die patriarchalische Gestaltung und Interpretation von Technologie und Technowissenschaft konsequent kritisierten (und immer noch gegen sie ankämpfen). Die feministische Positionierung zielt nicht nur auf die Emanzipation von Frauen, sondern aller marginalisierten Gruppen. Die Agenda der Ausstellung ist zugleich politisch und intellektuell: es geht darum, vorherrschende Machtgefüge (technokratisch oder männlich) kollektiv aufzuspüren, und zu destabilisieren, ihre zugrundeliegenden Essenzialismen zu zersetzen und alternative Narrative, Fantasien und kulturelle Ausdruckformen als Nährboden gesellschaftspolitischer Kräfte vorzuschlagen.
Wie kann die Kunst bei der Entwicklung und Etablierung eines feministischen, technikaffinen Zugangs helfen?
Im diskursiven Kontext des technologischen Wandels kultivieren die künstlerischen Beiträge in Hysterical Mining Prozesse und Formen der Verkörperung, situatives und nomadisches Wissen und Unvollständigkeit sowie den Einsatz von Affekten und Emotionen in leidenschaftlicher Opposition zu der dominierenden, vermeintlich universellen und rein instrumentellen Abstraktion. Die Auflösung der Grenzen durch Fiktion und Imagination demarkiert einen Raum für Spekulation, Performance und Aktion zwischen Kategorien, Körpern, Geschlechtern, Spezies und Ökologien. Die gezeigten Werke (und auch das Rahmenprogramm) fördern mittels verschiedener Methoden lange Zeit versteckte, verborgene oder unbeachtete Aspekte zu Tage, um kritisch zu erörtern, warum diese Fragen verdrängt werden und wie sich das nicht nur auf die Gegenwart, sondern auch auf die Zukunft auswirkt.
Künstler/innen (unter anderem): Trisha Baga, Louise Drulhe, Veronika Eberhart, Judith Fegerl, Fabien Giraud & Raphaël Siboni, Katrin Hornek, Barbara Kapusta, Marlene Maier, Pratchaya Phinthong, Marlies Pöschl, Delphine Reist
Ausstellungsort
Kunsthalle Wien Museumsquartier & Karlsplatz
Museumsplatz 1, 1070 Wien & Treitlstraße 2, 1040 Wien
Hysterical Mining. Eine Ausstellung der Kunsthalle Wien
29. Mai bis 6. Oktober 2019
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