Hypnotische Skulpturen

Katharina Fritsch (*1956) ist eine der bedeutendsten bildenden Künstlerinnen der Gegenwart. Ihre Werke befinden sich in zahlreichen öffentlichen und privaten Sammlungen. Mehr denn Skulpturen sind es eher dreidimensionale Bilder, energetische Präsenzen im Raum. "Warengestell mit Madonnen" 1989, "Tischgesellschaft", 1988, oder "Elefant", 1987, sind auf Grund ihrer bildhaften Prägnanz fest im kollektiven Gedächtnis des Kunstpublikums verankert und auch Teil der rund 80 Objekte umfassenden Retrospektive in den Deichtorhallen, die viele neue Werke präsentiert.

Heute lässt sich in der gut zwanzigjährigen Entwicklung des Oeuvres dieser Künstlerin eine eindrückliche Kohärenz und Tiefe der Themen und Motive aufzeigen. Die Bilder stehen grossformatig als plastische und doch unfassbare "Erscheinungen" im Raum. Wer sie betrachtet, begreift sofort – und ringt doch gleichzeitig mit einem sich dahinter verbergenden Sinn. Die Machart, eine von jeglicher persönlicher Handschrift getilgte Oberfläche der Skulpturen, ausgeklügelte Proportionen und die immateriell leuchtenden monochromen Farben auch der neuerdings entstehenden Siebdrucke offenbaren Fritschs Schulung an der Strenge der Minimal Art sowie das Interesse für Künstlichkeit und überindividuelle kulturelle Prägungen.

Die Ausstellung in den Deichtorhallen präsentiert zur Hälfte jüngere und ganz neu entstandene Arbeiten, darunter grossformatige "Raumbilder" als präzises Zusammenspiel von Skulpturen und ätherisch wirkenden grossformatigen Siebdrucken. Gleich am Eingang empfängt das eintretende Publikum ein hellgelber Koch, der einen hellgelben Teller mit hellgelbem Kotelett, Kartoffeln und Erbsen präsentiert. Die Figur steht strahlend hell vor einem grossen Bild eines düster wirkenden Gasthofs, dem "Schwarzwaldhaus".

Die erste Begegnung mit Katharina Fritschs Kunst setzt hier beim Eintreten schon jene widersprüchlichen Gefühle frei, die programmatisch sind für viele Arbeiten dieser Künstlerin. Während das Auge von den realistischen Zügen des gleichzeitig so "charakteristisch" irrealen Kochs und den verführerisch samtschwarzen Tönen des Bildes angezogen ist, mag einen die Situation am Eingang einer Ausstellung auch ziemlich direkt die Frage aufdrängen: Ist das Museum ein Gasthof? Ist die Kunst nichts als eine zum feierlichen Verzehr feilgebotene Konsumation? So machen diese ersten Sekunden in verwirrender Weise die eigenen Stereotypien der Erfahrung bewusst und unsere Verstrickungen und Verquickungen mit einer elementaren, uns alle verbindenden Welt der Bilder. Und sie stimmen ein auf diesen spezifischen Ton zwischen abgründiger Melancholie und subtilem Humor, der über dem Ganzen zu schweben scheint.

Die frühesten Werke in der Ausstellung sind die so genannten "Warengestelle" der späten 80er Jahre. Sie thematisieren das Objekt als Ware, das als Kunstwerk als "Multiple" produziert wurde. Anfänglich verband sich wohl mit dieser neutralen, ja, affirmative Geste, dass man ein Kunstwerk vorsorglich als Ware deklariert, wohl auch eine gewisse Provokation. Die Dinge auf den Gestellen wirken gleichzeitig anonym und von persönlicher Erinnerung getränkt. Sie imitieren die industrielle Herstellung und verströmen doch bei näherer Betrachtung die besondere Aura eines zwischen "Leben und Kunst" gesetzten Objektes. So hatte Katharina Fritsch 1987 einen Naturgegenstand als lebensgrosses, überraschendes "Wunder" präsentiert. Es war der grüne "Elefant", entstanden für das Kaiser Wilhelm-Museum in Krefeld, der auf einem hohen, Ellipsenförmigen Sockel die Besucher einer Ausstellung "moderner" Kunst in Staunen versetzte.

1988 schuf Fritsch eines ihrer wohl spektakulärsten Werke, die "Tischgesellschaft" für eine Ausstellung in der Kunsthalle Basel (heute ist das Werk in der Sammlung des Museum für Moderne Kunst in Frankfurt): Ein Mann an einem Tisch, der sich zweiunddreißig Mal wiederholt und zusammen mit dem geometrisch vertrackten Muster des Tischtuchs zur beängstigenden Halluzination gerinnt. Die Geometrie und das Serielle hat unser Leben, unsere Kultur fest im Griff. Und so bilden diese Elemente den Hintergrund für die wohl bedacht und mit Nachdruck ausgeloteten strengen formalen Setzungen der Kunst von Katharina Fritsch.

Die neueren Werke weisen scheinbar fröhlichere Vorzeichen auf. Prominentes Beispiel ist das große Ensemble um die Figur "Frau mit Hund" von 2004. Dies besteht aus einer aus rosa Muschelformen komponierten Frauengestalt mit entsprechendem Hund, 32 an der Decke schwebenden Schirmen und vergrößerten Postkartenbildern. Die Schirme und die immateriell wirkenden Bilder vermitteln eine luftige Stimmung, das Werk zielt auf Assoziationen zu Rokoko und Populärkultur und beschwört auf souveräne Art das schwierige Thema der Leichtigkeit. In ihm wird die komplexe Aura einer Stadt wie Paris evoziert, zugleich aber auch der Mythos der "Schaumgeborenen" am Stoff der modernen Alltags- und Souvenirwelt gerieben.

Eine Art Fluidum durchflutet den Raum, wie eine Melodie mit frankophilem Refrain. Es waltet die verwirrende Klarheit eines Spiegelkabinetts, wo der Bedeutungs-Status der Bilder heiter oszilliert und unfassbar bleibt. Auch die pastellfarbenen Farbakkorde verbreiten den Eindruck von Zwielicht. Allein der Schirm als Teil des allgemeinsten Bilderreservoirs führt nicht nur Psychologisches ins Spiel: zwar will er beschirmen, beschützen, aber er will auch mit Mary Poppins in die Lüfte abheben, und sucht nicht zuletzt dank seiner sprichwörtlichen technischen Eleganz den formalen Vergleich mit der biologischen Struktur der Muschel.

Eine neuere Werkgruppe widmet sich als seltsam moderne Elegie dem Thema "Garten". In ihr sind auch viele neue Skulpturen integriert, die - ganz typisch für Fritsch - eigentliche Metaskulpturen sind. Es sind Kunstwerke, welche die Erinnerung aktivieren, Werke, denen man wieder begegnet, obwohl man sie zum ersten Mal sieht. So die Skulptur der Heiligen Katharina, die vor dem Bild mit dem blauen Efeu steht, oder der weiße, weibliche Torso, wir haben sie bestimmt auch schon in irgend einem Park, wenn auch nur halb bewusst, gesichtet.

Es ist ein Ineinandergreifen von Welten. Der Riese, der grau vor einem furchigen grünen Tal steht, gemahnt an die Entstehung der Mythen und ist zugleich in seiner lebensnahen Darstellung ein wenig eine alltägliche Erscheinung. Man hat den Eindruck dem Mann schon einmal begegnet zu sein. Vielleicht lebt der mythische Riese ja in unserer Nähe und arbeitet als Taxifahrer. Die Stimmung fängt das farbig überhöhte Zwielicht einer psychischen Überspanntheit ein. Die Bildwelt der Parks und Gärten der 50er und 60er Jahre in Deutschland bringt auch ganz konkret die Kindheitserinnerungen der Künstlerin ins Spiel. Eine Nachkriegsstimmung als Ambivalenz zwischen betonter Harmlosigkeit und versteckter Düsternis, feierlicher Getragenheit und Trauma.

In einer der neusten Werkgruppen lädt Katharina Fritsch sozusagen in ein Schlafzimmer ein. Da steht ein mit Konfetti verziertes, "süss lächelndes", so genanntes "französisches" Bett. Als hätte ein Bräutigam in kreativer Vorfreude mit dem Auslegen der bunten Konfetti in Herz-, Augen- und Mundform seinen Willkommensgruss an seine Braut deponiert. Mit den groß aufgeblasenen männlichen Pin-Ups an der Wand begibt sich Fritsch zudem mit subversiver Fröhlichkeit als Frau in ein männlich besetztes Terrain der Kunstgeschichte. Schamlos ist in diesem Raum vor allem die Wertfreiheit, das ästhetische Neben- und Ineinander, die abgeklärte Glückseeligkeit, in welcher Vitalität alles Vulgäre abgestreift zu haben schein.

Als Pendant erscheint in einem zweiten Raum die Sexualität in ihrer abgründigen Ausdruckskraft. Es sind wieder vorgefundene Bilder, welche Fritsch einsetzt. "Vorgefunden" meint, dass die Bilder einem gemeinsamen, kollektiven Reservoir entsteigen. Soll man nun mit oder gegen Sigmund Freud argumentierend diese umwerfenden Bild-Findungen kommentieren? Sie stammen aus Zeitschriften aus dem 19. Jahrhundert, aus der Zeit als das Bild sich begann in Massen zu reproduzieren. Da ist die Frau, die mit gebauschten Röcken in den Felsspalt fällt, oder der Mann, der entsetzt zuschaut wie eine gigantische Schlange eine andere verzehrt.

Eine der schönsten, neuen Skulpturen von Katharina Fritsch steht auf einem Modelliertisch wie ihn die Künstler seit Jahrhunderten brauchen. Ein grell oranger Oktopus, der seine harmonisch geschwungenen Tentakeln als organisches Ornament ausbreitet. Genüsslich hält er ein kleines Männchen im Taucheranzug gefangen und scheint mit ihm zu spielen.


Katharina Fritsch wurde 1956 in Essen geboren. Sie studierte zunächst Geschichte und Kunstgeschichte in Münster, später Kunst an der Kunstakademie Düsseldorf bei Fritz Schwegler. 1979 stellte sie erstmals Skulpturen aus. In den 1980er Jahren dienten ihr Bildthemen aus der Warenwelt häufig als Motiv. Der internationale Durchbruch gelang 1984 in der Ausstellung "Von hier aus" in Düsseldorf. 1988 stellte sie in der Kunsthalle Basel aus und 1997 im Museum für Gegenwartskunst. Nachdem sie 1995 Deutschland bei der Biennale in Venedig vertreten hatte, wurden ihr bedeutende Auszeichnungen wie der Kunstpreis Aachen (1996) und der Piepenbrock Preis für Skulptur (2008) zuteil. Katharina Fritsch lebt und arbeitet in Düsseldorf. Seit 2001 ist sie Professorin für Bildhauerei an der Kunstakademie Münster (Hochschule für Bildende Künste). Im selben Jahr widmete ihr die Tate Modern, London, in Kooperation mit dem K21, Düsseldorf, eine große Einzelausstellung.

Katharina Fritsch
6. November 09 bis 7. Februar 10