14. Dezember 2010 - 7:34 / Walter Gasperi / Filmriss
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Weihnachten – Fest des Friedens, Fest der Liebe. Im Episodenfilm des Norwegers Bent Hamer geht das Leben am Heiligen Abend aber einfach weiter, nur dass vor diesem Hintergrund Einsamkeit und andere Sorgen noch deutlicher sichtbar, schmerzhafter empfunden werden. Aber auch lichte Momente fehlen in diesem warmherzigen Kaleidoskop des Lebens nicht.

Zwei Kinder verfolgen im Fernsehen die Illumination des Weihnachtsbaums am New Yorker Rockefeller Center. Dem Jubel der Massen auf dem Bildschirm steht die bedrückende Stimmung in der Wohnung gegenüber. Der Tisch ist zwar für den Festabend gedeckt, doch es gibt nur eine kleine Plastiktanne.

So verlässt der Junge heimlich das Haus, streift durch die vom Krieg gezeichneten Gassen einer Stadt im Kosovo, um in einer stillgelegten Industrieanlage einen Weihnachtsbaum zu stehlen. Die ihn suchende Mutter hat ihn schon fast eingeholt, da legt aus dem Hinterhalt ein Scharfschütze auf den Jungen an. – Und mit einem harten Schnitt wechselt Bent Hamer zu einem Schneepflug auf den Straßen eines tiefwinterlichen norwegischen Dorfes.

Erst am Ende wird Hamer zu der Eröffnungsszene zurückkehren und wird ihren Zusammenhang aufklären. Nicht unbedingt die glücklichste Entscheidung ist diese erzählerische Klammer, wirkt sie doch einerseits aufgesetzt und spielt andererseits auch sehr prätentiös mit dem Weihnachtsgedanken. Auch den einzelnen parallel entwickelten Episoden kann man zwar vorwerfen, dass sie allzu sehr darauf abzielen einen Querschnitt zu bieten, möglichst viele Alterschichten und Problemfelder abdecken wollen, doch davon abgesehen sind Hamer schöne Miniaturen gelungen.

Dass hier kein großer Handlungsbogen entwickelt wird, vieles nur angedeutet und aufs Wesentliche reduziert wird, erweist sich als Stärke, wird dadurch doch das Aufkommen von Sentimentalität, das mit Weihnachten oft verbunden ist, wenn schon nicht ganz unterbunden, so doch sehr zurückgedrängt. Das ist freilich auch dem trockenen Humor des Norwegers zu verdanken, von dem schon Filme wie "Kitchen Stories" oder "O´Horten" lebten.

Hamer beschränkt sich in "Home of Christmas" auf den Weihnachtsabend, geht aber dafür mächtig in die Breite. Von einem Arzt, der jedes Gefühl für Weihnachten, für seine Frau und wohl auch für sich selbst verloren hat, wird da ebenso erzählt, wie von einem migrantischen Paar, das in einer von Kaminfeuer erhellten Blockhütte, ein Kind zur Welt bringt, von einem Jugendlichen, der einer jungen dunkelhäutigen Muslimin näher kommt, ebenso wie von einem greisen Paar, das auf die Rückkehr seines Sohnes wartet. Schwer hat ein arbeitsloser Vater damit zu kämpfen, dass seine Frau mit einem anderen Mann Weihnachten feiern will und er seine Kinder am Festabend nicht sehen soll. Mit einem Trick, bei dem er auch zu recht drastischen Mitteln greift, wird er seinen Wunsch zumindest ansatzweise und kurzfristig aber doch verwirklichen können. In die Offensive geht auch eine Frau, die sich nicht länger gefallen lassen will, dass ihr Geliebter seine Gattin nicht verlassen will und sie nur für leidenschaftlichen Sex benützt. Und ein Obdachloser wird schließlich seiner Jugendliebe wieder begegnen, sodass die Einsamkeit beider vorübergehend Vertrautheit und Nähe weicht.

Von Geburt und auch von Tod, von Liebe und Trennung, Einsamkeit und - zumindest im Blick durch ein Fernrohr – einem Familienfest erzählt so Hamer sehr gefühlvoll, aber auch mit genauem Blick für den Alltag und Momenten bissigen Humors. Nie macht "Home for Christmas" dem Zuschauer dabei vor, dass an Weihnachten die Probleme gelöst werden und danach alles heil ist, sondern lässt die Sorgen vielmehr vor diesem Hintergrund noch deutlicher zu Tage treten: Doppelt brennend wird vor diesem Fest des Friedens und der Liebe die Sehnsucht nach Harmonie und Glück.

Diese Pole des Lebens, die Sehnsucht nach Wärme und die gleichzeitige Kälte, werden dabei wunderbar über die Bildsprache transportiert. Immer wieder finden sich in der kalten Schneelandschaft Lichtpunkte, die Wärme versprechen, hebt sich der erhellte Bahnhof von der dunklen Umwelt ab, werden dem kalten Außen warme Innenräume gegenübergestellt, stehen sogar bei der Sternbeobachtung der beiden Jugendlichen dem dunklen Weltall einige leuchtende Sterne gegenüber.

Das Heimelige ist so immer Gebrochen durch das Dunkle, das Glück scheint möglich, ist aber eher die Ausnahme in einer ziemlich bitteren und kalten Welt. Auch mit der Hektik der Weihnachtszeit bricht Hamer, wenn er ruhig und in langen statischen Einstellungen erzählt, Melancholie allein schon durch den Erzählrhythmus und die überlegte Wahl von Licht und Farben aufkommen lässt.

Nie macht sich der Norweger dabei über seine Figuren lustig, ist vielmehr auf Augenhöhe mit ihnen und folgt ihnen voller Wärme und Mitgefühl. Zu viele sind es freilich, als dass alle differenzierter gezeichnet werden könnten, aber die eine oder andere wächst einem doch ans Herz. Dennoch hat man angesichts der kurz angerissenen Geschichte des Obdachlosen, der einst ein Fußballstar war, aber an seinem Sport auch zerbrochen ist, das Gefühl, dass die Fokussierung auf diese eine Figur einen ganz anderen, sehr eigenwilligen und skurrilen großen Film geben hätte können, kurzum einen echten Hamer-Film.

Läuft derzeit im Kino Rex in St. Gallen

Trailer zu "Home for Christmas"

Die Meinung von Gastautoren muss nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen. (red)



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