Die Neuproduktion des Wagner´schen Tannhäuser an der Wiener Staatsoper begeistert mit dramatisch präziser musikalischer Interpretation Philippe Jordans und einer überaus bildreichen und schlüssig erzählten Inszenierung von Lydia Steier. Ein Opern-Gesamtkunstwerk, dargeboten in voller Pracht und Schönheit.
Für die Regisseurin ist die Figur Tannhäuser ein Heimatloser, ein zaudernder Antiheld, der sich in der üppigen, verführerischen Welt der Liebesgöttin nicht mehr wohlfühlt, aber in jene der betulichen, rechtschaffenen Gesellschaft schon gar nicht hineinpasst. Die in Connecticut geborene Lydia Steier zeigte unlängst mit einer exzellenten Candide am MusikTheater an der Wien auf (siehe kultur online), und es gelingt ihr auch bei Tannhäuser die Geschichte und Musik eindrücklich, voller Sinnlichkeit, Dramatik, Andacht spürbar zu machen. Ihre Inszenierung arbeitet die drei Teile klug und nachvollziehbar heraus: Am Anfang, eine schillernde Varieté-Atmosphäre, in der Venus beheimatet ist, dann die kalte, restriktive Wartburg-Welt und im dritten Aufzug eine illusionslose Medienlandschaft.
Richard Wagner vereint in der 1845 uraufgeführten Oper zwei Sagenkreise: den Mythos um Tannhäuser – ein dem Weltlichen zugeneigter Dichter und Künstler – mit der Sage über den Sängerkrieg auf der Wartburg, und thematisiert außerdem den inneren Zwiespalt zwischen sinnlicher Begierde, verkörpert durch Venus, und geistiger Erlösung in Gestalt von Elisabeth. Grundlegende Überarbeitung und einen Skandal erfuhr das Werk 1861 für die Pariser Aufführung. Wagner war gezwungen ein Ballett einzufügen, tat dies jedoch nicht wie üblich im zweiten Akt, sondern gleich zum Auftakt. In einem Brief an Mathilde Wesendonck sinniert er: „… und dann will ich den unheiligen Venusberg nachträglich noch einmal ordentlich ausführen. Dieser Hof der Frau Venus war offenbar die schwache Partie in meinem Werke: ohne gutes Ballett half ich mir seiner Zeit hier nur mit einigen groben Pinselstrichen, und verdarb dadurch viel“, und weiter: „Sonderbar: alles Innerliche, Leidenschaftliche, fast möchte ich´s: Weiblich-Ekstatische nennen, habe ich damals, als ich den Tannhäuser machte, noch gar nicht zu Stande bringen können …“.
Für Philippe Jordan ist der Beginn nach wie vor eine klassische Potpourri-Ouvertüre, die alle wichtigen Themen des Stückes vorwegnimmt, doch Wagner würde das ursprünglich in sich abgeschlossene Orchesterstück insofern verwandeln, „als er unmittelbar in den Aktbeginn, also ins Geschehen überleitet – von der Welt der Pilger direkt in die Venusberg-Umgebung. Damit stürzen die Zuhörer regelrecht in das Ballett-Bacchanal.“ Andächtig schwelgt auch das Staatsopern-Publikum in der wunderbaren Musik, auf einmal öffnet sich der Vorhang. Atemberaubend. Eine gewaltige, enthemmte orgiastische Situation haben Bühnen- und Kostümbildner geschaffen. „Es wogt von links und rechts, von oben und unten – und schließlich schwebt Venus auf einem silber-glitzernden Halbmond herab“ sagt Momme Hinrichs, und Alfred Mayerhofer zum exakt komponierten Bild: „Jede Farbnuance, jedes einzelne Kostümelement hat den eigenen Platz und erhält den dazu passenden Kontrapunkt.“
Bei diesem opulenten Treiben wird nachvollziehbar, dass in Tannhäuser, der bereits das Gefühl für Raum und Zeit verloren hat, die Sehnsucht nach Rückkehr in die reale Welt übermächtig wird. Der US-amerikanische Heldentenor Clay Hilley meistert die höchst anspruchsvolle Partie hervorragend und bleibt den Verführungskünsten von Venus – die Mezzosopranistin Ekaterina Gubanova tritt auf allen großen internationalen Bühnen auf – gegenüber resistent.
Im zweiten Aufzug – Szenenwechsel. Tannhäuser lässt sich auf das Wettsingen ein, das Publikum versammelt sich – der Wiener Staatsopernchor, imposant ob der zahlenmäßigen und vor allem stimmlichen Fülle! Es geht um die Liebe, doch der selbstgerechte Vortrag der anderen Minnesänger provoziert ihn zunehmend. Aufblinkende Flashbacks verleiten Tannhäuser, die sinnlichen Genüsse der Liebe zu preisen und zu offenbaren, dass er am Venusberg davon gekostet hätte. Die Entrüstung der selbsternannten Femerichter ist ihm gewiss, und er muss sich der Pilgerschaft nach Rom anschließen.
Tannhäusers wahre und große Liebe gilt Elisabeth. Die weltweit gefragte schwedische Sopranistin Malin Byström ist noch aus der Salome-Neuinszenierung an der Staatsoper (siehe kultur online) in bester Erinnerung. Schon bei seinem letzten Verschwinden ist diese in tiefe Verzweiflung versunken, nun harrt sie wieder vergeblich seiner Rückkehr. Elisabeth fleht die Muttergottes an, sie sterben zu lassen, damit sie im Himmel für den Geliebten um Gnade bitten kann. Vergeblich war auch die Pilgerreise nach Rom, der Papst hat Tannhäuser die Absolution verweigert. In Erkenntnis des Opfertods Elisabeths bricht er zusammen, die Wartburggesellschaft preist das Wunder seiner Erlösung.
Seit fünf Jahren Generalmusikdirektor an der Wiener Staatsoper, ist dies die letzte von Philippe Jordans beeindruckenden Neuproduktionen. Mit dem Wiener Staatsopernorchester zelebriert er jeden Moment in einem tiefen Verständnis für Richard Wagners Musik, und die Inszenierung von Lydia Steier vermag diese eindringlichen musikalischen Bilder sichtbar zu machen. Begeistert und beeindruckt zollt das Publikum gebührenden Applaus.
Richard Wagner | Tannhäuser
Romantische Oper in drei Akten
Musikalische Leitung: Philippe Jordan
Inszenierung: Lydia Steier
Bühne & Video: Momme Hinrichs
Kostüme: Alfred Mayerhofer
Choreographie & Regiemitarbeit: Tabatha McFadyen
Licht: Elana Siberski
Tannhäuser: Clay Hilley
Elisabeth: Malin Byström
Venus: Ekaterina Gubanova
Landgraf Hermann: Günther Groissböck
Wolfram von Eschenbach: Martin Gantner
Walther von der Vogelweide: Daniel Jenz
Biterolf: Simon Neal
Heinrich der Schreiber: Lukas Schmidt
Reinmar von Zweter: Marcus Pelz
Ein junger Hirt: Ilia Staple