Herbert von Karajan zeigt...

5. Januar 2011 Rosemarie Schmitt
Bildteil

Da sitze ich nun im Jahre 2011 mit einer DVD die 1966 aufgenommen wurde. Bei dieser Aufnahme, die das Naxos-Label Major hier präsentiert, handelt es ich um zwei Klassiker des Konzertfilms. Mozarts Violinkonzert Nr. 5 mit Yehudi Menuhin und Dvoráks Symphonie Nr. 9, beide unter der Leitung von Herbert von Karajan.

Und da ich Ihnen von dieser Musik erzählen möchte, sehe und höre ich mir die DVD also an. So sitze ich vor dem Fernsehapparat, merke wie sehr Karajan sich in den Vordergrund rückt und die Musik behutsam aber bestimmt in den Hintergrund drängt. Ich kann meinen Blick und meine Aufmerksamkeit nicht abwenden von diesem Dirigenten, der mit geschlossenen Augen, beiden Beinen fest mit dem Boden verwurzelt, dort nicht vor dem Orchester sondern mitten drin steht.

Für die Verwirklichung dieser vorliegenden Konzertfilme konnte Herbert von Karajan den Regisseur Henri-Georges Clouzot begeistern und gewinnen. Karajan hatte ganz bestimmte Vorstellungen hinsichtlich der dramaturgischen Gestaltung seines Vorhabens. Clouzot, der "französische Hitchcock", ein Spezialist des Psychothrillers, schien ihm genau der richtige.

Bereits nach dem Vorspann hätte mir eigentlich klar sein müssen, worum es hier geht. Nicht in der Hauptsache um die Musik von Mozart und Dvorák, sondern um Herbert von Karajan, denn in großen Lettern ist zu lesen:
HERBERT VON KARAJAN ZEIGT DIE KUNST DES DIRIGIERNS
So sitze ich und bin gespannt auf das Violinkonzert von Mozart, und auf das Spiel des legendären Yehudi Menuhin.

Werner Oehlmann, Musikredakteur beim Berliner Tagesspiegel von 1950 bis 1966, schrieb über Karajan und Mozart: "Mozart liegt ihm, dem gebürtigen Salzburger, fast verwandtschaftlich nahe. Was für ganze Generationen von Musiker Stilproblem war, das Zurückfinden zur Diskretion, zur reinen, nicht von Gefühl und Geist belasteten Schönheit, ist ihm von Natur gegeben. (...)"

Und wie entsetzt bin ich nach den letzten Klängen des Konzertes! Oehlmann hatte also Recht. Bedauerlicherweise, denn was ist Musik, was sind die Kompositionen Mozarts ohne Gefühl und Geist? Was Oehlmann Diskretion und Reinheit nennt, nenne ich kalt, herz- und gefühllos. Gefühl und Geist belastet nicht die Schönheit, sondern bringt sie doch hervor. Selbst Yehudi Menuhin scheint zu frieren und spielt starr unter der Leitung Karajans.

Da steht er, der Meister in schwarz-weiß (die Aufnahme ist von 1966), mit beiden Beinen fest auf der Erde, die Augen geschlossen, der Kopf leicht nach unten geneigt. Steht nicht vor, sondern mitten im Orchester. Den Celli und Kontrabässen den Rücken gekehrt, sich hin und wieder aus der Hüfte leicht zu ihnen hin drehend. Er dirigiert ohne Partitur und sucht nicht ein einziges Mal den Blickkontakt zu seinen Musikern. Irgendwie müssen aber doch Dirigent und Orchester in Kontakt stehen. Aber wie? Die Musiker ähneln allesamt entweder irgendwie Heinz Erhardt, Peter Frankenfeld oder Heinz Rühmann. Manche haben von jedem etwas und erinnern seltsam an Karikaturen oder Marionetten. Sie scheinen instruiert, diszipliniert und wohlerzogen. Korrekte und pflichtbewußte, sicherlich ausnahmslos sehr gute Musiker.

Auch zwischen Yehudi Menuhin und Herbert von Karajan scheint keine Kommunikation stattzufinden. Allem Anschein nach vermittelt das Orchester. Ich habe den Eindruck, als habe jemand allesamt gezwungen miteinander zu arbeiten. Dem entgegen steht allerdings, was 1977 Menuhin über Karajan schrieb: "(...) beschützt seine Musiker, achtet darauf, daß sie gut bezahlt werden, stellt sicher, daß ihre Instrumente erstklassig sind, ermutigt sie, in kleineren Gruppen Kammermusik zu spielen, und stärkt in jeder Hinsicht ihre Moral."

Und immer wieder ertappe ich mich dabei, daß meine Aufmerksamkeit mehr dem Bild als der Musik gilt. Herbert von Karajan verfügt wahrhaftig über eine faszinierende Präsenz und hat in der Tat für seine Ziele den richtigen Regisseur ausgesucht. Spannung aufzubauen und den Hauptdarsteller ins rechte Licht zu rücken, darauf versteht sich Henri-Georges Clouzot. Karajan scheint unterkühlt und herrisch, obwohl er doch ein äußerst sensibler Mensch gewesen sein soll. Bei einem Konzert 1969 in der Heidelberger Stadthalle setzte er sogar durch, daß die Uferstraße für den Verkehr komplett gesperrt wurde. Ein Ästhet, der keine Störung duldete und ertrug.

Karajans Haltung ändert sich auch nicht, wie ich hoffe, bei der Sinfonie "Aus der neuen Welt". Auch diese gewaltige Komposition vermag nicht einen Herbert von Karajan zu bewegen für die Musik auch nur einen Schritt beiseite zu treten. Liest man in seinen Biographien, so behauptete er immer wieder, das Musik und das Dirigieren etwas mystisches haben und er in einen Zustand der Meditation, in einen Trancezustand fällt, und mit der Musik und seinem Orchester eins wird. Ich beobachte, wenn ich mir diese Konzerte ansehe, einen großen Hang zur Selbstdarstellung und das ständige Bestreben perfekt zu sein. Als nähme er die Musik zu ernst, ein Gefühl, das sich mir besonders bei Mozarts Violinkonzert aufdrängt. Freude und Lust an Bewegung, am Tanz, am Spiel, an der Musik, dies alles scheint Karajan fremd zu sein.

Der Tenor und Mediziner Julius Pölzer bezeichnete Karajan einst als "Luftumrührer". Rührend finde ich in diesem Zusammenhang auch folgende Anekdote. Im Jahre 1939 wurde an der Berliner Staatsoper die Oper Elektra, unter der Leitung von Karajan und unter Anwesenheit des Komponisten Richard Strauss aufgeführt. Im Anschluß lobte Strauss den jungen Dirigenten. Außer daß dessen Hang zur Genauigkeit zu ausgeprägt sei. So tierisch ernst habe er das doch gar nicht gemeint. Karajan solle doch nur ein bisserl umrühren, dann käme schon die richtige Wirkung heraus, riet er ihm.

Und Herbert von Karajan rührte, und zwar viele zu Tränen, nämlich in welcher Art und Weise er in der Öffentlichkeit sich und sein Orchester darstellte. Seine Musiker waren seine Kinder, deren Wohl und Glück ihm so sehr am Herzen lag. Er malte das Bild einer glücklichen großen Familie, ähnlich wie es ja auch Yehudi Menuhin beschrieb. Doch hege ich den Verdacht, daß es lediglich ein inszeniertes Idyll gewesen ist. Irgendwann nämlich bröckelte die Fassade und der übermächtige Orchestervater überwarf sich mit seinen Kindern. Am Ende waren alle seine Spieler für ihn, den großen Karajan, der sich am liebsten mit Akademikern und Wissenschaftlern umgab, am Ende waren seine Orchestermusiker für ihn allesamt kleine Idioten.

Dieser Konzertfilm ist in vielerlei Hinsicht ein ganz besonderes Erlebnis. Das diese Aufnahme sowohl als DVD als auch auf Blu-ray erhältlich ist, würde ganz sicher auch Herbert von Karajan begeistern. Als die CD auf den Markt kam und der Schallplatte einen Platzverweis erteilte, war für ihn alles andere (als die CD) bereits Gaslicht. Herbert von Karajan war ein Mensch der offen war für jede technische Neuerung und dem so manches nicht schnell genug gehen konnte.

Herbert von Karajan zeigt... in erster Linie sich selbst, und dabei dirigiert er Mozarts 5. Violinkonzert und Dvoráks 9. Symphonie.

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt
classicuss@googlemail.com