Henrik Spohler: The Third Day

"Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut, das sich besamte, ein jegliches nach seiner Art, und Bäume, die da Frucht trugen und ihren eigenen Samen bei sich selbst hatten, ein jeglicher nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war. Da ward aus Abend und Morgen der dritte Tag." Erst am vierten Tag schuf Gott jenes "Licht am Himmel", ohne das Leben nicht gedeihen kann. Die Sonne war jedoch nur so lange für organisches Wachstum unabdingbar, bis Gott am sechsten Tag die Menschen schuf und sie aufforderte: "Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan."

Heute kommen Pflanzen nicht nur ohne natürliches Licht, sondern auch noch gänzlich ohne Erde aus. Im westlichen Teil Hollands, wo der Mensch das Land neu erschaffen hat, tritt diese Entwicklung besonders deutlich zutage. Hier erstreckt sich das größte Tomatenanbaugebiet Nordeuropas über endlose Kilometer hinweg wie ein einziges Gewächshaus gen Horizont. Statt im Erdreich gedeihen die unter Glas gesetzten Pflanzen in Steinwolle. Sie werden nicht mit Wasser versorgt, sondern mit einer chemischen Nährlösung, deren Bestandteile Agraringenieure errechnet haben. Und sie wachsen vierundzwanzig Stunden am "Tag". Denn selbst in der Nacht erstrahlt die gesamte Landschaft in leuchtend orangenem Licht.

Henrik Spohlers Aufnahme von Tomatenrispen, die wie Soldaten in Reih und Glied wohl geordnet aufgestellt sind, bilden stellvertretend für das gesamte Projekt ein inhaltliches und ästhetisches Konzentrat. Ohne Verbindung zur Erde, wie durch Nabelschnüre künstlich ernährt, hängen die Tomaten im "natürlichen" Licht eines nie enden wollenden Tages. Die von Spohler bewusst gesetzte Anordnung erinnert an die riesigen Zucht- und Aufbewahrungsanlagen aus dem Science-Fiction-Film "The" Matrix der Wachowski-Geschwister, in denen die von intelligenten Maschinenwesen versklavten Menschen in millionenfachen Brutzellen vor sich hindämmern und mit zahlreichen Leitungen an eine hochkomplexe Computersimulation angeschlossen sind – die "Matrix", die ihnen ein normales Leben vorspielt.

Die Matrix-Tomaten sind in ein gleichförmig geordnetes, leicht geschwungenes Rautenraster eingefasst, das Uniformität demonstriert und eher einer mathematischen als lebensweltlichen Realität anzugehören scheint. Das Produktdesign erlaubt keine Abweichler. Mit seiner zu Beginn des neuen Jahrtausends entstandenen Serie "0/1 Dataflow" über Orte des immateriellen Datenflusses hatte Henrik Spohler bereits Bilder von der "Zukunft" entworfen, die aussahen, als seien sie Stanley Kubricks Weltraum-Odyssee 2001 entsprungen. Für seine Arbeit "Global Soul" war er zuvor sechs Jahre lang durch Deutschland gereist, um Hightechfabriken zu fotografieren, in denen Produkte wie Autos, Computerchips, Tabletten oder Bier hergestellt werden.

Nun dringt Spohler mit seiner neuen Arbeit "The Third Day" in globalwirtschaftliche Dimensionen vor, wo der Mensch sich endgültig zum Creator mundi erhoben hat. Der Titel verspricht das Paradies als vom Menschen unberührte Naturlandschaft mit wild wuchernder Vegetation aus saftig grünen Tönen. Stattdessen erwartet uns eine Welt nach dem Sündenfall, die ihrer Unschuld verlustig gegangen ist. Die Natur wird zur Retorte, in Pflanzenfabriken und Brutstätten gezüchtet, ihrer natürlichen Herkunft beraubt, in mit dem Zirkel gezogene Bahnen gelenkt und nach geometrischen Formen sortiert. Mittels Gentechnologie, Resistenzmaximierung, Treibhauskultur und Nahrungsmittelrobotik werden neue Spezies erfunden, die profitabler sind als jegliche konventionelle Züchtungen. (Christiane Stahl, "Raster von Denkstrukturen", in: "The Third Day", Hatje Cantz 2013).

Henrik Spohler: The Third Day
28. September bis 22. Dezember 2013