Henri Matisse / Rupprecht Geiger. Kraft der Farbe

Der Zweite Weltkrieg hinterlässt tiefe Wunden, auf die die Künstler unterschiedlich reagieren. Henri Matisse und Rupprecht Geiger setzen der emotionalen und der tatsächlichen Grisaille der Nachkriegszeit die Kraft der Farbe entgegen, deren Vitalität den Betrachter umso stärker in Ihren Bann zieht, als beide Künstler sich mit den in dieser Ausstellung präsentierten Werken, "Jazz" (1947) und "AER" und "PYR" (1962), gegen zerstörerische Erinnerungen und überkommene Traditionen zu wehren scheinen.

Das Künstlerbuch "Jazz", das Henri Matisse zwischen 1940 und 1947 für den Verleger Tériade kreierte, zeigt eine Folge von 20 Farbdrucken in der aufwendigen Pochoir-Technik, die in ihrer poetischen bis abstrakten Motivik, vor allem aber in der intensiven Farbigkeit den leidvollen Erfahrungen des Künstlers unter der nationalsozialistischen "Occupation" zu trotzen scheinen. Sein Buch sollte der Farbe gewidmet sein, eine Intention, die Matisse mit Hilfe seiner Scherenschnittentwürfe, die zu einfachen, flächigen Formen führen und dank einer Drucktechnik, die der Farbe ihre sinnliche Materialität und strahlende Intensität bewahrt, umsetzen konnte.

Zu seinen Motiven schreibt Matisse: "Diese Bilder in kräftigen und wilden Tönen haben sich aus Erinnerungen an den Zirkus, Märchen und Reisen herauskristallisiert." Er trennt die Welt von "Jazz" damit von jedem historischen Kontext. "Jazz" öffnet den Blick auf eine "Gegenwelt", die sich von der Realität betont abgrenzt und ihren eigenen Gesetzen und Regeln folgt: "Ich finde mich mit jedem politischen Regime ab, mit jeder Religion, vorausgesetzt, dass ich jeden Morgen, um acht Uhr, mein Licht, mein Modell und meine Staffelei wiederfinde."

Auch Rupprecht Geigers künstlerische Haltung ist nicht von der politischen Aktualität geprägt. Die wichtige Rolle, die der Farbe in seinem Werk zukommt, geht auf eine Erlebnis zurück, das der Maler auf einer in der Ausstellung präsentierten Schrifttafel selbst aufgeschrieben hat: Geiger empfing einen entscheidenden Impuls durch die rote Spur einer Bewegung, die er in der grauen Ruinenlandschaft Münchens wahrnahm und der er bis zum Ende seines malerischen Werkes folgte. Die je sechs Serigraphien der 1962 von der Galerie Stangl herausgegebenen Mappen "AER" und "PYR" übersetzen die Elemente Luft und Feuer in Farbformen. Blau und Rot.

In seinem Vorwort zu den beiden Mappen schreibt John Anthony Thwaites: "Verwandlung der Materie. Metamorphose. Kraft. Ein Schlag, der nicht wie ein Schlag seine Wirkung allmählich verliert, sondern ständig wächst. Raum. Nicht Flächen; die Konturen von plastischen Körpern. Unendlichkeit, die mit Perspektive nichts zu tun hat. Form, die nicht hart und kühl ist, sondern intensiv. Aus dem Zusammentreffen von Farbe springt Vitalität. Unpersönliche Aggression, wie Erdbeben. Nicht die Person ist wichtig, wichtig ist das Produkt. Einfachheit. Ist sie verletzt, so bricht die Spannung. Ist sie vollkommen, sind die Verwandlungen ohne Ende; wie in der Natur."

Dieser Lobgesang auf die Bedeutung der Farbe in Rupprecht Geigers Kunst wird in der Ausstellung, die in Kooperation mit dem Archiv Geiger entstanden ist, durch fünf Gemälde aus den 50er und frühen 60er Jahren bekräftigt, deren besondere Materialität zu einer intensiven Farbwirkung führt.


Henri Matisse / Rupprecht Geiger. Kraft der Farbe
12. Oktober 2014 bis 15. März 2015