Henri-Georges Clouzot: Packende Thriller mit pessimistischer Weltsicht

Der 1907 geborene Franzose Henri-Georges Clouzot war ein Meister des Spannungskinos. Düstere Krimis waren seine Spezialität, mit "Le salaire de la peur" gelang ihm 1953 ein zeitloser Klassiker und sein Dokumentarfilm über Picasso ("Le Mystère Picasso") gilt immer noch als herausragendes filmisches Künstlerporträt. Das Filmpodium Zürich widmet Clouzot im April und Mai eine Retrospektive.

Vier Männer unterschiedlicher Nationalität in einem südamerikanischen Kaff. Weil sie nichts zu verlieren haben, nehmen sie den gut bezahlten Auftrag an, mit LKWs über eine ruppige Piste 300 Kilometer hochexplosives Nitroglyzerin zu transportieren. Benötigt wird der Sprengstoff um eine brennende Ölquelle zu löschen.

Nach der Exposition erzählt Henri-Georges Clouzot in "Le salaire de la peur" (1953) von nichts anderem als von dieser Fahrt, von den Spannungen und dem Wettlauf zwischen dem Duo Yves Montand-Charles Vanel und Folco Lulli-Peter van Eyck und den sich ändernden natürlichen Gefahren. Mal geht es über eine Wellblechpiste, mal muss eine riesige Ölpfütze, die durch die Explosion eines anderen LKW entstand, durch- und dann eine morsche Brücke überquert werden. Dass dieses Himmelfahrtskommando nicht jeder überlebt, ist von Anfang an klar. Doch auch der, der ans Ziel kommen wird, wird sich an der Belohnung nicht lange erfreuen können.

Ein pechschwarzer Thriller von der Sinnlosigkeit jedes Strebens ist dieser Film, mit dem hinsichtlich Spannung nur wenige andere mithalten können. Dabei sollte Clouzot zunächst nicht Filmregisseur, sondern Seemann werden. Wie dieses Ziel an Kurzsichtigkeit scheiterte, so zerplatzte der Traum einer Diplomatenlaufbahn, die er nach dem Jura-Studium einschlagen wollte, durch den finanziellen Ruin seiner Eltern infolge der Weltwirtschaftskrise. Als Journalist kam er in Kontakt mit einer Filmproduktion – und sein Interesse war geweckt.

In Berlin sammelte Clouzot bei der Erstellung von französischen Fassungen deutscher Filme Erfahrungen, doch krankheitsbedingt verzögerte sich der Sprung auf den Regiestuhl. Mit den düsteren Krimis "L"assassin habite au 21" (1942) und "Le corbeau" (1943) drehte er während der Zeit der nationalsozialistischen Besetzung seine ersten Filme – und handelte sich damit nach der Befreiung sofort ein Berufsverbot wegen Kollaboration und des düsteren Bildes ein, das er von Frankreich zeichnete.

Die Grenzen von Gut und Böse lösen sich in den Filmen Clouzots von Beginn an auf. Die "anständigen" Bürger sind in "L"assassin habite au 21" kaum weniger unsympathisch als der Serienmörder. Denunziation ist in diesem Debüt ebenso wie in "Le corbeau", in dem anonyme Briefe eine Kleinstadt in Angst und Schrecken versetzen, an der Tagesordnung. Die pessimistische Weltsicht setzt sich im Nachkriegswerk Clouzots fort.

Nach Aufhebung des Berufsverbots konnte er 1947 mit "Quai des Orfèvres" seinen dritten Film drehen. Ein Mord dient Clouzot hier als Anlass um eine Gemeinschaft genauer unter die Lupe zu nehmen, starke psychologische Porträts zu zeichnen und gleichzeitig Kritik an polizeilichen Vernehmungsmethoden zu üben.

Der Thriller blieb Clouzots bevorzugtes Genre, doch schmal ist sein Werk geblieben. Die Gründe liegen einerseits in seinen häufigen gesundheitlichen Problemen, andererseits in seiner Weigerung Stoffe zu übernehmen, hinter denen er nicht wirklich stand.

Nach dem Welterfolg von "Le salaire de la peur" gelang ihm 1955 mit "Les diaboliques" ein weiteres Meisterwerk. Mit bestechender Konsequenz erzählt Clouzot in dieser Verfilmung eines Romans von Pierre Boileau und Thomas Narcejac, die auch die Vorlage für Hitchcocks ähnlich angelegten "Vertigo" lieferten, von einem sadistischen Schuldirektor, der Frau und Geliebte tyrannisiert. Schließlich beschließen die Frauen den Mann zu ermorden, die Tat scheint zu gelingen, doch letztlich erweist sich alles als teuflisches Komplott.

Der Konsequenz seiner Inszenierung und der handwerklichen Perfektion ist es auch zu verdanken, dass selbst sein Dokumentarfilm über Pablo Picasso ("Le Mystère Picasso", 1957), mit dem er befreundet war, zumindest teilweise die Spannung eines Thrillers entwickelt. Clouzot zeichnet nicht das Leben des großen Malers nach, sondern vermittelt vielmehr eindringlich wie Kunst entsteht.

Dass sein Werk zur Entstehungszeit nicht entsprechend gewürdigt wurde, hängt auch damit zusammen, dass er in einer Zeit der aufkommenden "Nouvelle Vague" zum alten und verachteten "Cinèma de qualité" gerechnet und damit vielfach abgelehnt wurde. So fand angesichts der fast gleichzeitig erschienenen Debüts von Truffaut, Chabrol, Resnais und Godard sein Gerichtsdrama "La verité", in dem Brigitte Bardot die Hauptrolle spielte, 1960 kaum Beachtung.

Sein größtes Projekt sollte das folgende Eifersuchtsdrama "L"enfer" (1964) werden, das er ohne Budgetlimit drehen konnte, wurde aber zu seinem größten Fiasko. Durch Clouzots Streben nach Perfektion wurde von Schauspielern und Technikern alles abverlangt, sodass Serge Reggiani schließlich absprang. Als dann auch noch Clouzot einen Herzinfarkt erlitt, wurde das Projekt unvollendet ad acta gelegt.

Nach fünf TV-Dokumentationen über Herbert von Karajan drehte er 1968 mit dem düsteren Melodram "La prisonnière" seinen letzten Kinofilm. Danach beschäftigte er sich bis zu seinem Tod am 12. Januar 1977 vor allem mit klassischer Musik.

Trailer zu "Le salaire de la peur"