Heldenzeiten

Nach der Retrospektive des ukrainischen Künstlers Boris Mikhailov vor fünf Jahren (2003) stellt das Fotomuseum Winterthur mit Sergey Bratkov (*1960) einen weiteren wichtigen russisch-ukrainischen Künstler der nachfolgenden Generation vor. Mit ca. 130 Werken gibt die Ausstellung einen tiefen Einblick in das fotografische Schaffen Bratkovs seit 1990, das sozialkritisch, politisch und gleichzeitig auch von Poesie durchdrungen ist.

Eine direkte, manchmal schonungslose Darstellung des Alltags und des Zusammenlebens nach dem Niedergang der Sowjetunion zieht sich als roter Faden durch das Werk und mischt sich zu einem bisweilen schrillen Theater der neuen Realität. Der in der ukrainischen Industriestadt Kharkov aufgewachsene Bratkov legt in seinen Bildserien die ideologisch überkommenen Klischees der Sowjetzeit ebenso offen wie die neuen Verhaltensweisen des kraftstrotzenden Ostkapitalismus. Seine dokumentarischen Porträtserien über Sekretärinnen, Soldatinnen und ehemalige Seefahrer, über Stahlarbeiter, obdachlose Kinder oder Frauen mit Kinderwunsch zitieren die Bildsprache des national gefärbten Sozialismus, indem sie den Menschen schablonenartig in Stereotype einzuordnen vorgibt.

Sergey Bratkov sucht in seinen "Heldendarstellungen" jedoch nicht die Konformität der Gruppe, hinter der sich das Individuum verstecken könnte. Vielmehr provoziert er mit seinen Fotografien die post-sowjetische Gesellschaft durch gezielte Grenzüberschreitungen von geschmacklichen und moralischen Tabus. In der ironischen und subjektiven Zuspitzung des Erlebten erfindet Sergey Bratkov eine neue Form des sozialen Realismus in fotografischen Bildern und demaskiert den kritischen Sozialismus als ideologisch überkommene Fiktion. Kurator der Ausstellung ist Thomas Seelig.

Biografie: Sergey Bratkov, geboren 1960 in Kharkov, Ukraine, lebt seit 2000 in Moskau. Gemeinsam mit Boris Mikhailov und Sergey Solonsky bildete er von 1994 – 1997 die Fast Reaction Group. 2002 war er Teilnehmer der 25th San Paolo Biennale, São Paolo. Im vergangenen Jahr war er im Ukrainischen Pavillion der 52. Biennale von Venedig vertreten. Einzelausstellungen u.a.: Faust and Margherita, Center for Contemporary Art, Kiev, 2003; S.M.A.K., Gent, 2005; Part of my Life, Moscow Museum of Contemporary Art, Moskau, 2006; Baltic Centre for Contemporary Art, Gateshead, 2007.


Zur Ausstellung "Heldenzeiten" erscheint ein Katalog (dt./engl.) im Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich, mit Texten von Boris Buden, Bart de Baere, Thomas Seelig, sowie einem Interview von Mikhail Ryklin und Anna Alchuk mit Sergey Bratkov.

Sergey Bratkov – Heldenzeiten
7. Juni bis 24. August 2008
Vernissage: 6. Juni 08, 18 Uhr