Heimspiel

Österreich ist eine freie Republik, die sich in Zwängen findet. Sachzwänge, die unsere Manager zwingen, unsere Politiker. Offensichtlich werden sie getrieben und können nicht anders. Viele wollen ja, wie sie beteuern, aber die Umstände, die Fakten, die „Altlasten“, die Weltwirtschaft, die Anderen. Alles ist relativ. Verglichen mit Spanien geht es uns ja gut. Unsere Korruption scheint geringer. Verglichen mit Italien ist unsere Regierung stabil. Verglichen mit Großbritannien gibt es weniger problematische „Sozialfälle“ und potentielle Terroristen. Verglichen mit Deutschland ist die Neonaziszene oder der Rechtsaußenbereich überschaubar. Verglichen mit Tschechien haben wir die Geschichte aufgearbeitet und kennen keine kommunistischen Seilschaften.

Trotzdem quetscht das asoziale Steuersystem die Masse der Werktätigen, bevorteilt die Vermögenden, bezahlt eine extrem ineffiziente Staatsbürokratie. Aber die kann nicht anders. Trotzdem kommt die Bildungsreform nicht voran und bleibt mühsames Bastelwerk eines untauglichen, kostspieligen Apparats, der verzweifelt versucht, den Bedürfnissen der Wirtschaft, der Unternehmen entgegenzukommen. Trotzdem bröckelt der Putz von den potemkinschen Wänden der Krankenwirtschaft, der das Geld ausgeht und das Personal. Es hilft nicht, auf die EU wütend zu sein, die verbietet, dass Ärzte so lange Dienst machen müssen, wie man es keinem LKW-Fahrer gestattet, weil’s in Österreich zu wenig Ärzte gibt, weil’s zu wenig Geld gibt. Dank der EU müssen die Ärzte, die aus Existenzgründen die vielen Überstunden gerne leisten, um das geringe Entgelt zu erhalten, das sie zum Überleben brauchen, jetzt höhere Entlohnung zugesprochen bekommen, weil sonst noch mehr gleich auswandern, nachdem sie die staatlich finanzierte Ausbildung genossen haben. Österreich zahlt, und die Fachkräfte setzen sich ab.

Der Hypo-Alpe-Adria-Skandal wird zerredet, und die anstehenden Gerichtsverfahren werden keine Lösung bringen, die den Steuerzahler, der immer zahlt, zahlen muss, entlasten. Auch da hilft der Verweis auf die bösen Anderen, diesmal die Bayern, nicht viel. Die Affäre hilft, im Gegenteil, jenen Populisten, auf deren geistigem Sumpf die (ehemaligen) Sumpfblüten unter Wolfgang Schüssel, der es immer noch vermag, sich rauszuhalten, unantastbar in der öffentlichen Versenkung zu leben, so prächtig blühten, dass wir noch lange die Folgeschäden spüren werden. Immerhin, wir sind ein Rechtsstaat und es wird bald, bald einen Untersuchungsausschuss geben. Der wird sicher Wunder wirken. Wen hätten wir denn in den Riegen, wenn es zum Reinemachen käme, wie es kommen müsste, wenn es nicht inszeniert werden würde, vielleicht sogar unter Hinweis auf die Staatsräson?

Österreichs Experten sind, technisch, ökonomisch, politisch, durchtrainierte Spitzenkräfte, die unerschrocken sich der bitteren Realität stellen: Klimakatastrophe? Nicht bei uns. Fehlender Schnee für die Skiregionen? Halb so schlimm. Man will noch riesigere Schneegebiete erschließen durch verwegene Zusammenschlüsse von Regionen, koste es, was es wolle, eben weil es so aussichtslos erscheint. Schwer bedrängte Landwirtschaft durch partielle Überproduktion und falsche Marktabhängigkeit? Noch stärker werben für neue Exportmärkte, damit in Asien österreichisches Schweinefleisch in Massen verzehrt wird, weil die bösen Russen nichts mehr importieren, wegen der falschen Ukraine-Politik der EU, die der Staat halt irgendwie mittragen muss. Ebenso neue Kampagnen für die berühmte Biowirtschaft, erst recht nach dem HCB-Skandal in Kärnten, wo die Zementfirma sich gegen Auflagen wehrt und so tut, als sei die jahrzehntelange, unverantwortliche Verschmutzung „normal“ und rechtens gewesen. Es gibt Ausgleichszahlungen für die geschädigten Bauern und Betriebe, aus Steuermitteln finanziert, und alle hoffen, dass endlich HCB aus den Medien verschwindet. Noch ist niemand auf die Idee gekommen, die Allusion von HCB mit HCS (H. C. Strache) herzustellen, das dem Kurzdenken der Massen entspräche und, unfreiwillig, aber doch, eine andere Gefahr anzuzeigen vermöchte. Aber wer weiß, was in den Wahlkämpfen noch kommt? Dann wird sich der HCS wehren und als Opfer noch mehr Stimmen einheimsen, weil eine großer Teil des Elektorats sich erfolgreich an Images hält, die bisher schon zogen und überzeugten, obwohl sie jene Sumpfblüten kaschierten, die einen Schlechtteil der Misere uns eingebrockt haben.

Wer wagt da noch von Vernunft und Gerechtigkeit zu denken? Gilt der Satz nicht mehr, dass jeder Staat die Regierung hat, die er verdient, dass jedes Volk die Tyrannen hat, die es duldet? Nein, bei uns gilt der nicht, obwohl die allgemeine Malaise nicht einfach von außen importiert wurde, sondern hier, bei uns herinnen, aus uns und durch uns, als Heimspiel sozusagen, abrollt, abspielt.