Happy Birthday, Seiji Ozawa

1. September 2010 Rosemarie Schmitt
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Heute, am 1. September, feiert er seinen 75. Geburtstag, und der kommt ihm gerade recht, um den Beginn seines zweiten Lebens anzukündigen! Für mich ist dies die beste und erfreulichste Nachricht aus der Musikwelt in diesem Jahr! Denn zu Beginn dieses Jahres musste Seiji Ozawa sich einer niederschmetternden Diagnose stellen, Speiseröhrenkrebs. Dieser Befund und die Information, daß darauf eine Operation und eine Strahlentherapie folgen sollten, war das Wenige, was aus der Presse darüber zu erfahren war.

Ozawa ließ diesen Schicksalsschlag nicht in den Medien breittreten und war auch nicht bereit, den Hunger und die Gier der sensationslüsternen Meute zu bedienen. Im Juni 2010 gab es die Presseinformation, daß der Dirigent Seiji Ozawa die Konzerte der Berliner Philharmoniker für die Saison 2010/2011 abgesagt habe. Er müsse nach seiner Operation noch längere Zeit der Rehabilitation in Anspruch nehmen.

Was Krebs anrichten kann, was die Therapie mit den betroffenen Menschen macht und, daß noch immer zu viele daran sterben, ist hinreichend bekannt, wird aber nichtsdestotrotz immer wieder gerne erzählt, gehört, geschrieben, gelesen und am "besten" noch gesehen. Ich glaube, daß diejenigen, die all dies möglichst genau wissen möchten, selbst ernsthaft krank sind. Auf eine andere Art und Weise, aber dennoch krank. Ich werde auf Ozawas Erkrankung nun auch nicht mehr näher eingehen. Sie war lange genug Mittelpunkt in dessen Leben, und mehr Aufmerksamkeit steht ihr nun auch nicht mehr zu!

Meine Aufmerksamkeit, meinen Respekt und meine herzlichen Wünsche gelten heute alleine Seiji Ozawa, einem der besten und beliebtesten Dirigenten unserer Zeit. Willkommen zurück, und ein wundervolles, langes "zweites Leben", Maestro Ozawa!

Für Sie, liebe Leser, hat Universal-Music (Label DECCA) anläßlich des Geburtstages von Seiji Ozawa ein Geschenk. Wenn Sie bisher noch kein Orchester unter seiner Leitung spielen hörten, so sollten Sie diese Gelegenheit nun wirklich nutzen. Doch um bei meiner gewohnten Ehrlichkeit zu bleiben, so ganz geschenkt bekommen Sie die Seiji Ozawa "Anniversary-Box" natürlich nicht. Die 11 CD’s umfassende Sammlung kostet etwa vierzig Euro. Aber das ist doch nun wirklich fast geschenkt. Nicht wahr!

Ozawa sagte 2009 in einem Interview für die ZEIT, es sei ihm wichtig, daß sich seine Schüler auf die Noten eines Komponisten konzentrieren und sich im Stück förmlich verkriechen können. Und das können Sie als Hörer ebenso. Die "Anniversary-Box" bietet eine wunderbare Zusammenstellung interessanter Kompositionen von hervorragenden Orchestern, jeweils unter der Leitung von Seiji Ozawa gespielt (unter anderem ist auch das Saito Kinen Orchester vertreten).

Hören Sie und verkriechen Sie sich in die Musik von Tschaikowsky, Berlioz, Mahler, J.S.Bach, Poulenc und anderen. Allerdings würde ich mir schon gerne ansehen, wie das Verkriechen in die Musik von Takemitsu bei Ihnen aussieht. Tōru Takemitsu war ein japanischer Komponist, der fünf Jahre vor Ozawa in Tokio geboren wurde und bereits 1996 eben dort starb. Er stammte aus einer ganz und gar unmusikalischen Familie (er brach mit dieser Tradition der Unmusikalität!) und war weitgehend Autodidakt. Er wagte den Spagat zwischen fernöstlichen und europäischen Klängen. Ob dieser Spagat gelang? Hören und entscheiden Sie selbst. Über eine Schilderung, ob und wie es Ihnen gelang sich in diese Musik zu verkriechen, würde ich mich sicher freuen.

Doch zunächst freuen wir uns auf die zukünftigen Konzerte von Seiji Ozawa. Vom 5. Bis zum 9. September wird er beim Saito Kinen Festival die ersten Konzerte seines "zweiten Lebens" (diese Bezeichnung stammt vom Maestro persönlich) geben. In seinem neuen Frack wird er dastehen und mit seiner altvertrauten Art und seiner gewohnt liebenswerten Freundlichkeit das Orchester dirigieren. Wie immer, vielleicht auch etwas weniger exzentrisch und überschäumend.

Stellen Sie sich vor, das größte Symphonieorchester eines Landes hätte mehr Mitglieder als die Armee! Man sagt, in Monaco sei dies der Fall (wieso eigentlich Fall? Wäre es oder doch viel eher ein Aufstieg!). Für ein solches Orchester wäre Seiji Ozawa der perfekte Leiter. Für mich ist dieser Dirigent der Inbegriff des Friedens und der Höflichkeit. Diese Höflichkeit, die für Asiaten typischer ist als für den Rest der Welt. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob diese asiatische Höflichkeit bei allen auch stets aufrichtig und ehrlich ist. Bei Maestro Seiji Ozawa allerdings bin ich mir sicher.

Der berühmte italienische Dirigent Riccardo Chailly (er ist 18 Jahre jünger als Ozawa) sagte in einem Interview in der ZEIT vom 1. Juli dieses Jahres: "(...) zum ersten Mal habe ich sie (die 8. Sinfonie Mahlers) in den frühen Siebzigern in der Mailänder Scala gehört, der junge Seiji Ozawa dirigierte sie. Das hat mich unglaublich berührt, ich musste damals weinen wie ein kleines Kind (...)"

O-tanjôbi omedeto gozaimasu, Seiji Ozawa
... und ein wundervolles "zweites Leben"!

Ihre
Rosemarie Schmitt