Hans Haacke - Gründungsfigur der politischen Konzeptkunst und Institutionskritik

Als zentraler Protagonist der Gegenwartskunst hat Hans Haacke das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft neu definiert und Generationen von Künstler:innen geprägt. Dabei ist sein Werk von anhaltender Aktualität und Relevanz für die heutige Lebenswelt.

Seit den 1960er Jahren reflektiert der deutsch-amerikanische Künstler zunächst physikalische, biologische und ökologische Systeme, um dann gesellschaftspolitische Strukturen in den Blick zu nehmen und einer präzisen, oft schonungslosen Analyse zu unterziehen. So thematisiert er Machtmissbrauch, Mechanismen der Ausgrenzung und Ungleichheit, geschichtspolitische Verwerfungen, Verflechtungen von öffentlichen Institutionen, Politik und Wirtschaft und nicht zuletzt antidemokratische Tendenzen.

Als Gründungsfigur der künstlerischen Institutionskritik richtet Haacke sein Augenmerk stets auf das eigene Handlungsfeld, auf die ausgesprochenen und unausgesprochenen Regeln und Rahmenbedingungen des Kunstbetriebs und die darin wirksamen Macht- und Klassenverhältnisse. Seine Arbeiten bedienen sich soziologischer Methoden der Beobachtung und Befragung, datengestützter Recherchen und Prinzipien systemischen Denkens, beziehen aber auch das Publikum dezidiert mit ein und machen es so zu einem wesentlichen Faktor seiner Untersuchungen.

Die Ausstellung im Belvedere 21 in Wien beleuchtet die Vielseitigkeit und gleichzeitige Stringenz dieses Oeuvres - von frühen Gemälden und Objekten, Fotografien, prozessorientierten Aktionen und Performances über raumgreifende Installationen und ortsspezifische Interventionen bis hin zu partizipativen Arbeiten. Neben zahlreichen ikonischen Werken umfasst sie insbesondere auch jene Projekte, die Haacke speziell für den österreichischen Kontext entwickelt hat.

Den Auftakt zur grob chronologisch angelegten Schau bilden Haackes physikalische, biologische und ökologische Experimente der 1960er-Jahre, darunter die berühmten "Realzeit-Systeme" wie "Großer Kondensationswürfel" (1963–67). Sie belegen Haackes Auseinandersetzung und Austausch mit der Gruppe ZERO und mit Ansätzen der Minimal Art, der Op-Art und der kinetischen Kunst, vor allem aber den nachhaltigen Einfluss interdisziplinärer Systemtheorien und Prinzipien der Kybernetik. Der erstmals in einem Ausstellungskontext präsentierte künstlerisch-dokumentarische Film "Hans Haacke. Selbstporträt eines deutschen Künstlers in New York" (1969) gibt Einblick in diese Werkphase und zeigt zahlreiche prozessuale Arbeiten in ihrem jeweiligen Entstehungszusammenhang. Seine Praxis der Demonstration von Prozessen und Phänomenen in Form von "Realzeit-Systemen" überträgt Haacke in der Folge auf ökonomische, soziale und politische Systeme und erweitert sie um eine aus der faktischen Beobachtung abgeleitete (institutions-)kritische Hinterfragung.

Unter dem Eindruck des Vietnamkriegs und der Ermordung von Martin Luther King Jr. im April 1968 sieht Haacke die dringende Notwendigkeit, seine Arbeit auf die Gesellschaft zu beziehen. Mit "Nachrichten" (1969), einer Installation, die über Presseagenturen verbreitete Informationen eines Tages in den Ausstellungsraum überträgt, macht er erstmals gesellschaftliche Realitäten, politische Begebenheiten und ökonomische Entwicklungen zum Thema. Wenig später stellt der Künstler mit den partizipativen Arbeiten "Geburts- und Wohnprofil von Galeriebesuchern, Teil 1 und 2" (1969/70) und "MoMA Poll" (1970) eine unmittelbare Wechselwirkung zwischen Werk und Publikum her. Die Sichtbarmachung von Zuständen und Strukturen durch die Auswertung meist öffentlich zugänglicher Daten stößt nicht selten weitreichende Debatten an. Haackes Arbeiten zeigen dabei immer wieder das kritische Potenzial auf, das dem Faktischen innewohnt.

Mehrfach werden die zusammengetragenen Informationen als derart brisant wahrgenommen, dass Museen Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen absagen. So macht "Shapolsky et al. ManhattanImmobilienbesitz – Ein gesellschaftliches Realzeitsystem, Stand 1.5.1971" (1971), geplant für Haackes Einzelausstellung im Guggenheim Museum in New York, Unternehmensverflechtungen zum Zweck der Immobilienspekulation sichtbar, während "Manet-Projekt ’74" (1974), konzipiert für eine Jubiläumsausstellung des Wallraf-Richartz-Museums in Köln, anhand der Objektgeschichte von Édouard Manets "Spargel-Stillleben" (1880) NS-Kontinuitäten in der Nachkriegszeit offenlegt. Mit dieser Installation nimmt der Künstler in den 1970er-Jahren Ansätze der seit den späten 1990er-Jahren systematisch betriebenen Provenienzforschung vorweg.

Die Beschäftigung mit der NS-Geschichte, ihren Kontinuitäten nach 1945 und ihren Auswirkungen bis in die politische Realität der Gegenwart zieht sich als Konstante durch das gesamte Werk des im (post)nationalsozialistischen Deutschland aufgewachsenen Künstlers. Gerade im Kontext einer in Deutschland und Österreich präsentierten Retrospektive erscheint es angemessen, Haackes Strategien einer kritischen "Gegen-Erinnerung" nachzuzeichnen, zeit- und ortsspezifisch zu verankern und aktualisierend zu perspektivieren.

Die geschichtspolitische Arena des öffentlichen Raums als besondere Form des orts- und kontextspezifischen Arbeitens beschäftigt Haacke erstmals 1988 im Rahmen des steirischen herbst in Graz, der dem fünfzig Jahre zurückliegenden sogenannten "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich gewidmet ist. Mit der Installation "Und Ihr habt doch gesiegt" rekonstruiert Haacke in der ehemaligen "Stadt der Volkserhebung" ein NS-Siegesmal und transformiert es in ein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus. Von Beginn an heftig debattiert und umstritten, wird die Installation durch einen neonazistischen Brandanschlag zerstört. Hans Haackes temporäres Gegen-Denkmal interveniert in ein ins Wanken geratenes Selbstverständnis der Verleugnung und Verdrängung der NS-Vergangenheit und trägt wesentlich zu einer neuen Erinnerungskultur in Österreich bei.

2001 entwickelt Haacke für seine Einzelausstellung in der Generali Foundation in Wien vor dem Hintergrund der europaweit verfemten Koalition der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) die Installation "Mia san mia", eine entlarvende Karikatur rechtspopulistischer Ästhetiken der Gegenwart, deren ideologischer Ursprung in der Nazizeit freigelegt wird.

Haackes langjährige Auseinandersetzung mit Geschichtspolitiken, dem Nachwirken des Nationalsozialismus und nicht zuletzt dem Erstarken rassistischer Strömungen zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung. Sein preisgekrönter Beitrag für den deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig, "Germania" (1993), verwandelt diesen durch das Aufbrechen des in der NS-Zeit verlegten Marmorbodens in ein aufsehenerregendes Trümmerfeld als Kommentar zu Geschichte und Gegenwart des gerade erst wiedervereinigten Deutschlands. Eine seiner bekanntesten Arbeiten entwickelt Haacke im Jahr 2000 für einen Innenhof des Berliner Reichstagsgebäudes: Der völkischen Ideologie der Fassadeninschrift "Dem Deutschen Volke" setzt er die Widmung "Der Bevölkerung" entgegen. Die Entscheidung das Kunstwerk zu realisieren wurde von intensiven Debatten im Bundestag begleitet. "Wir (Alle) sind das Volk" (2003/17 – fortlaufend), ein für den öffentlichen Raum konzipiertes Banner, deutet den inzwischen von Rechten vereinnahmten Ausruf der Friedlichen Revolution in einen Appell für kulturelle Vielfalt und Toleranz um.

Mit der Skulptur "Geschenkter Gaul" (2014) nimmt Haacke das Konzept des Gegen-Monuments nochmals auf. Im Rahmen des renommierten Fourth-Plinth-Projekts am Londoner Trafalgar Square transformiert er das heroische Reiterstandbild zu einer beißenden Kritik an der Verbindung von Macht und Kapital. Für die Dauer der Ausstellung ist die Arbeit im Skulpturengarten des Belvedere 21 zu sehen. Nicht zuletzt unterstreicht auch die eigens für die Präsentation in Wien adaptierte Besucher:innenbefragung ein wesentliches Ziel Haackes: die Formierung einer demokratischen Öffentlichkeit, eines Publikums, das sich seiner selbst bewusst wird und politisch denkt und handelt.

In Zeiten der globalen Bedrohung liberaler Werte erweist sich Hans Haackes richtungsweisendes Werk mit dem ihm eingeschriebenen kritischen Potenzial als relevanter denn je. Die Retrospektive im Belvedere 21 macht es einem breiten Publikum zugänglich und fordert zur Reflexion, zur Positionierung und nicht zuletzt zur Verteidigung pluralistischer Prinzipien auf.

Hans Haacke (* 1936 in Köln) lebt und arbeitet seit 1965 in New York. Nach einem Studium an der Staatlichen Werkakademie in Kassel (1956–60) und Auslandsaufenthalten in Paris, Philadelphia und New York lehrte er 35 Jahre lang als Professor an der Cooper Union for the Advancement of Science and Art. Zudem war er Gastprofessor an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und an der Gesamthochschule in Essen sowie Dozent an der University of California in Berkeley. Er hält Ehrendoktorate für bildende Kunst am Oberlin College, Ohio, an der Bauhaus-Universität Weimar, am San Francisco Art Institute und am Maryland Institute College of Art.

Hans Haacke
Retrospektive
bis 9. Juni 2025