Gottfried Bechtold - Akte

In seiner ersten Ausstellung im September 2009 mit dem Titel "Zeichnungen" in der Galerie.Z zeigte Gottfried Bechtold eine Auswahl an Arbeiten, die in einem Zeitraum von 40 Jahren entstanden sind. Sie verdeutlichte einerseits die enorme Bandbreite und Multimedialität seines Schaffens und bot andererseits Einblicke in seine schier unerschöpflichen Inspirationsquellen.

Im Gegensatz dazu widmete sich Gottfried Bechtold in der zweiten Präsentation, September 2011 – "Mayday", einem einzigen Inhalt, den er ausschließlich mittels Zeichnung transportierte. So lag der Focus dieser Arbeiten auf der Abbildung von Szenarien, in denen Flugzeuge die zentrale Rolle einnahmen. Ähnlich nun seine dritte Ausstellung mit dem Titel "Akte". Wieder, wenig überraschend, begnügt er sich dabei nicht mit dem realen bzw. technisch korrekten Nachempfinden der Frauenkörper. Gottfried Bechtold zeichnet "Akte" - an Barren und Reck unbedarft Gymnastik treibend. Ganz bei sich. Unter Glühbirnen Onanierende. Unter Lustern schlaff an Ringen hängend, oder mit Reifen spielende Frauen. Wesen von Leibesfülle und Körperlichkeit. Allein, zu zweit zu dritt. Flach auf dem Boden liegend, hoch gestreckt das Bein. Entrückt Mobiles betrachtend. Hockend im Zeigemodus. Sich selbst inspizierend. Unter Kronleuchtern auf allen Vieren durchs Geviert fensterloser Wände kriechend. Auch mal perspektivisch Courbets Nahaufnahme "L’Origine du Monde" gebend. Für einander Tanzende, zu Zumtobelleuchten emporblickende Träumende - oder auf Treppen sitzend, wie von ungefähr ihre Geschlechtsmerkmale ertastend. Und einzelne kühne Versuche von Sprüngen... Darf einer Frauen heute so darstellen? "Was will das Weib?" - der "dunkle Kontinent", - das "kastrierte" Geschlecht mit dem "Penisneid"?? Freuds dahingestellt gebliebene Frage, ist sie nicht längst beantwortet? Oder "ist die Wahrheit ein Weib, das Gründe hat, seine Gründe nicht sehen zu lassen" (Nietzsche)? Bechtold misogyn? Oder bedient er intuitiv die zerologische Metapher, die Quelle aller Poesie? G.B."s ungelenk agierende "Akte" scheinen sich all diese Fragen nicht zu stellen. Im Gegenteil. Sie stellen eine Zumutung dar, schon wegen ihrer massiven Fülle und aufdringlichen Körperlichkeit, und der bildhaften Andeutung einer gewissen Ungelehrigkeit oder Unbelehrbarkeit. Vollschlank bis fettleibig ignorieren sie die Vorbilder knabenhaft-weiblicher Wesen, die, unter der Hypnose homosexueller Coutouriers - als a-sexuell erscheinende Außerirdische - durch die Magazine und über die Laufstege stöckeln. G.B."s Akte scheinen keinerlei intellektuelle Ambition und keinen Willen zur Macht zu haben. Sie scheuen weder den mentalen noch den physischen Verfall, und pflegen aber auch kein evidentes Nahverhältnis zur Natur. Nur zu sich, ihrem nackten Selbst. Worin besteht es? G.B. zeichnet mit krudem Strich und träge fließenden Ausbuchtungen die archaischen Leiber vergessener Göttinnen, die alles vergessen haben. Sie erscheinen wie geistig Befangene in den klammen, engen Kammern des patriarchalischen Serails, wo sie ihr Dasein fristen. Sie stellen sich dumm, schauen nicht her, bei ihren ungerührten Aktivitäten. G.B. zeichnet seine Akte in einer Art, wie wir uns Frauen kaum vorstellen. Stellt sie dar in Zeitlupe, wie sie - auf Grund von Multitasking - nur noch selten anzutreffen sein dürften. Und auch nicht so, wie "Akte" bisher klassisch modern "gemacht" wurden: als passiv Liegende, Sitzende, Stehende. Auch nicht so, wie die als extrem fordernd fantasierten Teufelsweiber der 68er oder 70er, und schon gar nicht so, wie die superlasziven Pseudolüsternen des 21. Jahrhunderts in der Krone, die sich dort sonntags akrobatisch räkeln, gezeichnet von Jobkünstlerinnen, die sich offenbar nicht vorstellen können, was eine wirklich wollen kann. Zum Beispiel schreiben. G.B. präsentiert Frauengestalten sozusagen als unvollendete Fragezeichen. Seine Figurinen scheinen irgendwie geistesabwesend, unbedarft und unartikuliert. Nicht dumb, aber doch nahe dran, hinter ihrem Haargestrüpp. So scheint G.B. als intuitiv Fragender, sie eher als Suchende, als soeben Erwachte, zu sehen, die, noch ganz bei sich, weder dem Betrachter in die Augen, noch verträumt in weite Fernen blicken. G.B. zeigt seine Akte weder als reizend noch aufreizend – sie wirken viel mehr mutwillig. Bei seinem Unternehmen, sich zeichnerisch auch einmal "am Akt" zu versuchen, greift er auf keine Manier und Gesten der Kunstgeschichte zurück, zum etwaigen Zweck "den beobachtenden Blick" zu entlarven oder ihn zu karikieren. Auch nicht, um den akademischen "Abendakt" zu persiflieren. Nein. Seine Akte bedeuten keine Karikaturen von Akten, noch ironische Abwertung oder obsessive Fetische von Frauen, - sondern sind schlicht und leicht hin gezauberte Wesen. G.B. besteht auf dem kindlich naiven Gestus, seine Akte in ungelenkter Neugier und momentan erfahrener Linienführung jedes Mal aufs Neue aus sich heraus zu stellen. Vielleicht, um seine intuitive Beobachtung zu Protokoll zu bringen, wie diese soeben dabei sind, sich in seinem Blick selbst nochmals neu zu erfinden. Um Welche Art von Neuerfindung es dabei geht? Wer weiß. Die Akte von G.B. praktizieren reine Selbstreferenz und zeigen so eine Art von Intimität, die scheint’s erst mal nur der Ahnung zu entspringen scheint, vielleicht doch einmal anders gewesen zu sein und so gewirkt zu haben? Und wie das gewesen sein könnte, als das Weibliche – dann im männlichen Blick – und vice versa rekursiv oszillierend - für einen langen Augenblick zu sich kam. Wie es aus Notwendigkeit und Fülle gebärend mächtig wurde. Aber (noch) keine von Unterdrückungsgefühlen geplagte empirische Frau, sondern wahr genommen als sakrales Weibliches – als Leben gebend und Wiedergeburt gewährend - und sich dabei lieber schon Gedanken hätte machen sollen, was sie sonst noch will. Doch sie WAR ja, was sie sein wollte und war, was sie - sich in sich selbst teilend und spaltend – sich so von sich unterscheidend - aus sich hervorbrachte, und - so–seiend - sich selbst und alles daraus folgende bestimmte. Was war ist wahr. Und noch keine Kassandra und keine empirische Frau hatte Grund zu warnen und aufzubrechen, um jammernd und zeternd den dialektischen Wechsel und das Zeitalter der Axiomen-Logik, binärer Oppositionen, und ihres Machtverlustes vorauszusagen. Alles hat soeben begonnen und alles ist in seiner ganzen Komplexität schon da. Es scheint mir hier um den zerologischen Augenblick des Erwachens, Unterscheidens, Handelns und Zeiterzeugens zu gehen, ohne noch zu wissen wo es lang geht und schon ist alles entschieden und gleich ein Schöpfungsmythos festgeschrieben. Aus der ersten Unterscheidung folgt alles, was ist. Und der zeitlose Augenblick der ersten Unterscheidung dauert an. G.B. macht Akte, die wirklich "Akte" sind. Sie zeigen schräge Kunststücke, vage Handlungen und akribische Aktivitäten, welche gerade nicht zum Akt einladen oder als Vorlage dienen. Akte die also nicht verführen, sondern die aktiv und dabei ganz bei sich sind, im Augenblick des eigenen Gewahrwerdens, im Moment des spielerischen Aufhebens ihrer Selbstvergessenheit. Wer bin ich? Was könnte, im optimalen Fall diese Intuition, dieser männliche Akt - nämlich weibliche Akte wahr zu nehmen, und sie sagen wir mal im doppelsinnigen Augenblick ihres zweiten Debüts zu zeichnen, bedeuten? Sich also ein solches Bild zu machen, wenn wir mal davon ausgehen, dass dieser intuitive männliche Beobachtungsakt ganz und gar nicht misogyn, sondern viel mehr ein Akt der schöpferischen Liebe ist? Sylvia Taraba, 2013
Gottfried Bechtold - Akte 6. September bis 5. Oktober 2013