Gothic Modern – Meisterwerke vom Symbolismus bis zum Expressionismus

In der großen Herbstausstellung der Albertina trifft Moderne auf Gotik. Im Fokus stehen Meisterwerke vom Symbolismus bis zum Expressionismus, die sich durch die emotionale Ausdruckskraft der mittelalterlichen Kunst inspirieren ließen.

Die Moderne bedeutete vor allem einen radikalen Bruch mit der bis dahin dominierenden akademischen Tradition. Gleichzeitig richteten viele Kunstschaffende ihren Blick auf eine deutlich weiter zurückliegende Epoche: die Gotik. In der mittelalterlichen Kunst fanden sie Sujets, Motive und Ausdrucksformen, die ihrer eigenen Suche nach Wahrhaftigkeit näherkamen als die an den Akademien vermittelten Normen. In gotischen Werken sahen sie vieles widergespiegelt, was sie im Innersten bewegte. Themen wie Liebe und Sexualität, Tod und Trauer, Glaube und Zweifel sowie die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Rollen und Identitäten waren bereits im Mittelalter präsent und blieben innerhalb der Kunst der Moderne von zentraler Bedeutung.

Die Ausstellung in der Albertina in Wien zeigt, wie der Rückgriff auf eine Kunst vor Beginn der akademischen Tradition eine kreative Neuausrichtung ermöglichte. Dafür werden Hauptwerke von Künstler:innen der Moderne zwischen 1875 und 1925 mit ikonischen Gemälden, Grafiken und Skulpturen Alter Meister in direkte Konfrontation gebracht. In dieser außergewöhnlichen Gegenüberstellung der Kunstepochen wird veranschaulicht, dass die Moderne weniger einen fundamentalen Bruch mit der Vergangenheit markierte, sondern die gezielte Bezugnahme auf die Kunst des Spätmittelalters eine wesentliche Rolle in ihrer Entwicklung spielte. Im Gegensatz zur sehnsüchtigen Rückwärtsgewandtheit der Romantik oder dem antiquarisch rekonstruierenden Blick des Historismus auf dieses Zeitalter – Perspektiven, die oft im Dienste einer politischen und nationalen Selbstvergewisserung erfolgten – stand nun die eigentliche ästhetische Qualität der Kunst im Zentrum. Die moderne Kunst wurde von einer expressiven Bildsprache einer als roh und unverfälscht wahrgenommenen Kunst inspiriert. Zunehmend strebten sie danach, Seelenzustände sichtbar zu machen und existenzielle Krisen künstlerisch zu verarbeiten. In zumeist religiösen Darstellungen fanden sie zutiefst menschliche Gefühle wie Liebe, Leid und Trauer in einer Art vorgeprägt, die ihnen als Anknüpfungspunkt für ihr eigenes Schaffen diente. Ebenso faszinierten sie traditionelle künstlerische Techniken wie Holzschnitt oder Buchkunst, die Schaffung von Glasfenstern oder Tapisserien. Diese Techniken wurden wiederentdeckt und in die aktuelle Kunstproduktion integriert.

Besonders in den deutschsprachigen und nordeuropäischen Ländern manifestierte sich die Rückbesinnung auf die Ästhetik der Gotik als Teil der zeitgenössischen Kunstanschauung. Als wichtiges Kunstzentrum der Moderne war Wien um 1900 ein bedeutender Schmelztiegel für diese innovativen künstlerischen Strömungen und ein wesentlicher Knotenpunkt in der transnationalen Vernetzung von Kunstschaffenden. So stellten etwa Akseli Gallen-Kallela, Käthe Kollwitz oder Edvard Munch in der Wiener Secession aus und traten in einen fruchtbaren Austausch mit der lokalen Kunstszene, während wiederum Max Beckmann oder Helen Schjerfbeck in Wien Inspiration suchten.

Die groß angelegte Themenausstellung beleuchtet anhand von rund 200 Werken die Entwicklung von 1875 bis 1925, in der sich zahlreiche Künstler wie Paula Modersohn-Becker, Max Beckmann, Otto Dix, Vincent van Gogh, Gustav Klimt, Käthe Kollwitz, Edvard Munch, Egon Schiele oder Helen Schjerfbeck bewusst von der ausdrucksstarken Kunst Holbeins, Dürers, Cranachs oder Baldung Griegs inspirieren ließen. Die Begegnung mit der mittelalterlichen Ästhetik rief große Gefühle hervor und eröffnete den Künstler:innen neue Wege, sich mit den grundlegenden Fragen des menschlichen Daseins auseinanderzusetzen.

Gothic Modern
Munch, Beckmann, Kollwitz
19. September 2025 bis 11. Jänner 2026