Goldene Zeiten

Tagtäglich ereignen sich Dinge, die das Potenzial haben, Geschichte zu schreiben. Aber wer entscheidet, welche Ereignisse Teil des historischen Kanons werden? Wessen Geschichte wird erzählt und von wem? In der Ausstellung "Goldene Zeiten" nähern sich vier Künstler der Komplexität von Geschichte auf jeweils einzigartige Weise: Steven Claydon, Diango Hernández und Mai-Thu Perret.

So unterschiedlich ihre Werke sind, ist ihnen doch ein dehnbares Verständnis von Geschichte als etwas nicht Linearem, Fragmentarischen gemeinsam. Persönliche Erfahrung, Erzählung, Autorschaft, Authentizität, Zeitverschiebungen, historische Tatsachen, Referenzen und Repräsentation, all diese Aspekte spielen hier eine zentrale Rolle. Dabei ist Geschichte für die Künstler dieser Ausstellung immer auch eine Frage von Interpretation, Erzählung und Fiktion - wie auch den historischen Goldenen Zeitaltern etwas Verklärendes, fast Mythisches anhaftet. Der erste Teil von "Goldene Zeiten" zeigt in klassisch musealer Präsentation Skulpturen und Installationen von Steven Claydon, Diango Hernández und Mai-Thu Perret.

Steven Claydon (geb. 1969 in London; lebt in London) beschäftigt sich mit dem Motiv der Verehrung und mit der Repräsentation von Verehrtem. Darunter fallen Darstellungen von historischen Persönlichkeiten in Denk- bzw. Mahnmälern, okkulte Objekte oder die von politischen und kulturellen Gruppierungen zur Selbstdarstellung eingesetzten Mittel wie beispielsweise Fahnen und Symbolik. Inhaltlicher Ausgangspunkt sind vorwiegend in Vergessenheit geratene oder wenig beachtete Momente des Umbruchs, in denen utopische Visionen als Alternativen zum bestehenden historischen Wertekanon formuliert wurden. Von diesen Geschichten ausgehend, die Steven Claydon eher als Fiktion, denn als objektiv wahr betrachtet, entwickelt er Gruppen von Arbeiten, die im Zusammenspiel eine Art "neuer Zukunft" für diese jeweilige Vergangenheit auffächern. Für die Ausstellung "Goldene Zeiten" greift Steven Claydon die Münchener Sezessionsbewegung auf. Gegründet im Jahr 1892 war sie die erste kollektive Abspaltung dieser Art und bestrebt, in eigenen Ausstellungen ein gewandeltes Kunstverständnis zu dokumentieren.

Die Präsentation von Diango Hernández (geb. 1970 Sancti Spiriti, Kuba; lebt in Düsseldorf) wird bestimmt von "Years" (2008), einer fragilen Konstruktion aus verrostetem Stahl. Dieser skelettartige Raumteiler setzt sich aus den Ziffern der Jahre 1959 bis 2008 zusammen; chronologisch angeordnet, können sie wie eine Objekt gewordene Zeitachse abgeschritten werden. Die Jahreszahlen umfassen die Amtszeit Fidel Castros, von dessen Antritt als Premierminister im Jahr 1959 bis zu seinem altersbedingten Rücktritt im Frühjahr 2008. "Years" bildet somit das Raster oder die Brille, durch die man die weiteren Arbeiten von Diango Hernández in diesem Raum betrachten kann: die Geschichte Kubas von der Revolution bis heute. Diango Hernández beschäftigt sich mit den Prozessen von Geschichtsschreibung, die für sein Heimatland charakteristisch sind: die Rhetorik von Fidel Castros politischen Reden; der bis heute aufrecht erhaltene Anschein einer gelungenen Revolution, wie er der Bevölkerung über Jahre vermittelt wurde; die schleichende Veränderung von Fidel Castros Regentschaft hin zu einem totalitären System.

Mai-Thu Perret (geb. 1976 in Genf; lebt in Genf) hat Literaturwissenschaft studiert und überträgt Erzähltechniken des Romans auf die bildende Kunst. Dabei dehnt und erweitert sie den Begriff von Autorschaft, Realität und Fiktion so stark, als wollte sie die Methoden der Literaturwissenschaft ad absurdum führen. Ihr Projekt "The Crystal Frontier" (seit 1998) besteht aus den fiktiven Dokumenten einer ebenfalls fiktiven Frauenkommune in der Wüste von New Mexico. Die Kommune steht in der Tradition feministischer Utopien; dies prägt ihre ästhetischen Vorlieben und ihre Produkte: ihre Tagebucheinträge, Dichtungen, Manifeste, Arbeitspläne und Briefe, aber auch die von einzelnen Mitgliedern geschaffenen Tapeten, Keramiken und Skulpturen. Hinter dieser Fülle von Figurenstimmen scheint der auktoriale Erzähler - bzw. die Künstlerin Mai-Thu Perret - vollkommen zu verschwinden.

Goldene Zeiten
Teil 1: Steven Claydon, Diango Hernández und Mai-Thu Perret
15. Januar bis 11. April 2010