Mit „Bygone Innocence” präsentiert Göksu Kunak einen multimedialen Werkkomplex, der sich mit dem Autounfall von Susurluk im Jahr 1996 auseinandersetzt. In dem verunfallten Mercedes wurden Waffen gefunden. Unter den teils verunglückten Insassen befanden sich der ehemalige Polizeipräsident von Istanbul sowie ein von Interpol gesuchtes Mitglied der Organisation Graue Wölfe. Der Unfall hatte nachhaltige Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Politik in der Türkei und deckte die Existenz eines kriminellen Netzwerks auf, über das bereits vor dem Unfall spekuliert wurde.
In „Bygone Innocence“ setzt sich Kunak mit der Politik des Verschweigens und des Auslöschens auseinander und konzentriert sich dabei auf den Autounfall als Phänomen. Dieser wird als ein Moment verstanden, in dem die Technologie ihre schlimmsten Auswirkungen zeigt und die Wahrheit hinter unserer konstruierten Realität zum Vorschein kommt. Der Begriff des Crashs wird darüber hinaus als Fetisch aufgefasst, als ein in der Zeit eingefrorener Moment, in dem sich verschiedene Beziehungen offenbaren: ein Absturz zwischen Drama und Seifenoper.
Die Ausstellung in Krems umfasst eine Skulptur, eine Installation, Gemälde, Drucke sowie eine Performance mit einer Poletänzerin und einer kletternden Person. Kunaks neuer Druck „Siyah Araba / The Black Car” ist eine symbolisch überfrachtete Assemblage von Klischees über Immigration und Bewegung, Einschränkung, Beschleunigung, Steckenbleiben und Verlangsamung, in der ein Auto die Hauptrolle spielt. „KAZA / The Accident“ zeigt ein überarbeitetes Bild des Susurluk-Unfalls. Die neue Serie von Fotocollagen von Kunak auf Fernsehbildschirmen erforscht die Nutzung bürokratischer Überwachungssysteme, die einen Unfallhergang aufklären oder (im Falle einer manipulativen Verwendung der Daten) dessen Vertuschung ermöglichen sollen. Die Skulptur „Atypical Attraction” bezieht sich auf das Anadol-Auto, das erste in der Türkei in Serie hergestellte Auto. Sie spielt auf den Moment an, in dem mehrere Faktoren ungewollt zusammenkommen und aufeinanderprallen, wodurch die Zeit eingefroren scheint. Die Bilder der Installation „DU, Maschine” zeigen Kunaks Bewunderung für Bodybuilderinnen.
Göksu Kunak (geb. 1985 in Ankara) lebt in Berlin und arbeitet in den Bereichen Kunst, Forschung und Schriftstellerei. Kunaks Arbeiten thematisieren insbesondere chronopolitische Fragestellungen und behandeln hybride Texte. Kunaks Interesse gilt den performativen Ausdrucksformen zeitgenössischer Lebensstile sowie unorthodoxen, nicht-westlichen Dramaturgien. Als nicht-muttersprachlich Englisch schreibend spielt Kunak mit Mehrsprachigkeit und Syntax, um patriarchale Strukturen zu hinterfragen. In jüngster Zeit arbeitet Kunak an scorebasierten Performances und Installationen, die den Körper als Skulptur und das Konzept des Simulakrums erforschen.
Göksu Kunak
Bygone Innocence
Bis 26. Oktober 2025