Gleichheit

Doppelte Art der Gleichheit. – Die Sucht nach Gleichheit kann sich so äussern, dass man entweder alle Anderen zu sich hinunterziehen möchte (durch Verkleinern, Secretiren, Beinstellen) oder sich mit Allen hinauf (durch Anerkennen, Helfen, Freude an fremdem Gelingen). Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, Bd. 1, 6. Hauptstück "Der Mensch im Verkehr" § 300

Vielerorts ist die Rede, dass Zuwanderer, Migranten, vor allem in Österreich und Deutschland, durch das herrschende Bildungssystem benachteiligt werden. Gibt es einen Masterplan zur reklamierten Benachteiligung? Nein. Werden Einheimische nicht benachteiligt? Nein. Viele sind benachteiligt. Wenige werden benachteiligt. Jene, die benachteiligt werden, können Einheimische wie Zugezogene sein. Weil das so kompliziert ist, wird schon das Faktum einer Benachteiligung als Resultat einer negativen Aktion gesehen. Das ist ideologische Propaganda.

Ein Beispiel. Vor einigen Jahren war es gutmenschlerisch üblich zu sagen, dass jemand nicht behindert sei, sondern von unserer Gesellschaft behindert werde. Das machte zwar Programme zur Minderung der negativen Auswirkungen diverser Behinderungen nicht leichter, klang aber gut. Man konnte zwar die Lähmung, Verlust von Gliedmassen oder andere körperliche Aus- oder Wegfälle, nicht simpel einer bösen Absicht der Gesellschaft zuschreiben, aber alle Hilfen für Behinderte als zu gering und aus dem heraus eben den Tatbestand: jemand WIRD behindert. Der kleine Unterschied zwischen IST und WIRD ist pure Ideologie. Dahinter steckt ein unreifes Wertesystem, das sich an einem irrealen Gerechtigkeitsempfinden orientiert.

Kultürlich lassen sich Behinderungen, körperliche wie geistige, mit bestimmten Einrichtungen und Hilfsmassnahmen mindern. Gäbe es keine Behinderungen, müsste man nicht "rollstuhlgerecht" bauen, keine Seh- oder Hörhilfen offerieren etc. Problematisch ist es besonders mit mentalen oder psychischen Behinderungen.

Wenn ich aus diversen Gründen meine Arbeit nicht mehr zu leisten vermag und verliere, bin ich dann benachteiligt worden? Hätte die Firma mich an meinem bisherigen Arbeitsplatz halten sollen? Wer würde die Verantwortung tragen für die Fehlleistungen, die ich aus meiner Behinderung produzierte? Die Firma, die Gesellschaft oder ich? Was, wenn ich keine Verantwortung übernehmen könnte?

Hilft man den Behinderten durch semantische Politik? Indem man ihren Status, ihr "Handikap" einfach umtauft? Sicher nicht. Wie kann geholfen und zugleich behauptet werden, Person X sei nicht behindert, werde aber aus bestimmten Gründen unterstützt? Wem nützt diese Eufemie, diese Lüge?

Bin ich als Einwohner eines alpinen Bergbauerndorfes benachteiligt? Klar. Einer in Wien tut sich leichter. Vorarlberger haben nicht einmal eine Universität. Benachteiligung. Wenn jemand das Pech hat, von armen, ungebildeten Eltern erzeugt worden zu sein, ist er benachteiligt. Bald werden durch die Gentechnologie Prozesse möglich, in denen Kinder ihre Eltern vor Gericht ziehen und um Schadenersatz klagen, weil sie ihnen schlechte Gene mitgegeben haben. Weil sie dadurch benachteiligt sind. Müsste man dann nicht, wie in Zeiten der Leibeigenschaft, nur "Freien" gestatten zu heiraten und sich zu reproduzieren? Wird der Rekurs auf Benachteiligung nicht zu einem neuen Feld rassistischer Fehde? Zumindest zu einem Zuchtprogramm, wie es unter anderem die Nazis versucht haben: es soll jede Benachteiligung ausgeschalten werden. Der Ruf nach Chancengleichheit führt schnurstracks in den Terror (das war schon bei der ersten grossen europäischen Revolution, der französischen, "schlagend" und "schneidend" (Guillotine) so, das hat sich über die rechten Faschisten, die Nationalsozialisten und die linken, die kommunistischen Sozialisten, fortgesetzt.

Wie vertragen sich Eliteeinrichtungen mit dem Gleichheitsgebot und dem Ruf nach unbedingter Chancengleichheit? Ich habe in den USA in einer regulären Universität studiert. Hätte ich Zugang zu einer Eliteanstalt suchen und erhalten sollen? Sind x Tausende benachteiligt, im Land der Freiheit, weil sie nicht in die wenigen Eliteuniversitäten kommen?

Wie sieht es in Frankreich und Grossbritannien aus? Haben dort z.B. die Immigranten bessere Chancen? Erreichen sie mehr? Nein. Andere Fragen: Ist nicht schon die Leistungsbewertung eine Ungerechtigkeit? Hebt sie nicht von vornherein die Chancengleichheit auf? Wie aber können "wir" ohne Leistungsbewertungen und -steigerungen die Produktivität hoch halten oder, im Sport, Rekorde erzielen?

Geschwister geraten ungleich, obwohl sie in derselben Familie aufwachsen. Wer ist verantwortlich für die Chancenungleichheit z.B. der Tochter, die ein Junky wird und dem Sohn, der einen ordentlichen Beruf schafft? Die Eltern, die Schule, der Staat?

Wie schafften es jene Immigranten, die in der neuen Gesellschaft Fuss fassten? Waren sie privilegiert? Wie?

Je mehr ich von der geforderten Chancengleichheit höre und lese, desto schwummriger wird mir von dem unklaren Bild. Es besorgt, dass verschiedene politische Massnahmen nicht nach vernünftigen Kriterien erfolgen, sondern nach ideologischen. Eine neue Gesinnungskultur. Eine Gefahr.

Das alles hat nichts damit zu tun, dass Institutionen und Einrichtungen allgemein offen zugänglich sein sollen. Jedoch nach gewissen Kriterien. Es hat aber mit dem Wissen zu tun, dass nicht alles über den wirtschaftlichen Status erreicht werden kann. Ob jemand sich bildet, hängt nicht nur vom Geld ab. Früher wussten das vorwärtsdenkende Sozialisten (Arbeiterbildungsvereine). Heute haben sie dem rosarotgrünen Duseldenkersatz nachgegeben. Weil"s politisch so korrekt ist. Heute wird nicht das Sprachvermögen gesteigert (elaboriert), sondern allgemein eine Niveausenkungen, eine Nivellierung gefordert, damit auch jene, die nur im restringierten Kode kommunizieren können, nicht benachteiligt werden.

Das schafft eine neue Kaste und Klasse von Minderbemittelten. Die werden trotzt Betreuungsprogrammen sich nicht emanzipieren können. Das Gegenteil der Aufklärung wird erreicht werden, im Namen von Recht, Würde und Freiheit.