Gib Stoff! – Textile Bilder im Raum

Textilien prägen unseren Alltag. Sie kleiden, schützen, schmücken und verhüllen uns. Gleichzeitig können sie als Bildträger fungieren und werden so zu lesbaren Zeichen und visuellen Erzählungen, die Teil einer verflochtenen Kommunikation werden. „Gib Stoff!” im Gewerbemuseum Winterthur zeigt aktuelle Arbeiten der renommierten Schweizer Textilkünstler Stéphanie Baechler, Christoph Hefti und Sonnhild Kestler.

Ihnen allen war früher das Textildesign für Modestoffe wichtig. Ihre individuellen Wege der letzten Jahre führten jedoch alle drei weg von der Mode, hin zu größeren Formaten und anderen Dimensionen des Textilen.

Die Ausstellung erkundet die Welt großformatiger Textilbilder, die sich zwischen Funktionalität, Kunst und Raumerlebnis bewegen. Die gedruckten, gewebten, geknüpften und gestickten Arbeiten zeigen die unterschiedlichen Arbeitsweisen der drei Textilschaffenden, ihre handwerkliche Raffinesse sowie ihre Suche nach Bildhaftigkeit und der Wirkung von Materialien.

Auf eindrückliche Weise loten sie das Textile im Raum aus. Dabei stellen sie Szenarien dar, erzählen Geschichten oder kreieren neue Bildvorstellungen, jeweils mit einer sehr eigenen, charakteristischen Bildsprache. „Gib Stoff!” präsentiert ihr räumliches und textiles Schaffen in neu inszenierten Kombinationen, spürt ihren Entwurfs- und Entstehungsprozessen nach und gewährt Einblicke in ihre Inspirationsquellen und Bildwelten.

Stéphanie Baechler

Das Schaffen der multidisziplinären Künstlerin Stéphanie Baechler findet hauptsächlich an der Schnittstelle von Textil und Keramik statt. Dabei interessiert sie sich für das Zusammenspiel von Handwerk und Technologie sowie deren komplexe und oft intransparente Beziehungen. Ihr künstlerisches Schaffen hat sich fortwährend in Richtung Skulptur und Installation entwickelt. Sie bewegt sich heute zwischen dem, was sie Hardware (Keramik und Metallguss) und Software (Textil) nennt. In ihrer aktuellen Arbeit hinterfragt sie die Beweggründe für das ständige Bedürfnis der Menschen nach Anerkennung in der allgegenwärtigen Social-Media-Landschaft. Durch die Arbeit mit Textilien, Stickereien und Keramiken untersucht Baechler die sinnliche Erfahrung, die aufgrund heutiger Technologien immer seltener wird.
Ausgangspunkt für das Projekt, das Stéphanie Baechler 2022 während eines Residence Programms der Pro Helvetia in Kairo realisiert hat, war der Begriff „Bilderfahrzeuge” des Kunsthistorikers Aby Warburg. Bilder – und somit auch textile Bildkreationen – sind stets auch Kommunikationsmittel, die auf verschiedenen Ebenen als Erzählung, Dokumentation oder Kommentar wirken können.
Die Bildmotive ihrer Arbeiten sind sehr unterschiedlich: Sie reichen von historischen Stickmotiven für Taschentücher, die auf Blumenvorlagen basieren, über fotografisch festgehaltene Eindrücke von Abbruchgebieten in Kairo bis zu Zeichnungen von Stickmaschinen, die in einem Workshop des Ateliers Creahm in Freiburg von Menschen mit Behinderungen, die über künstlerische Fähigkeiten verfügen, entstanden sind. Die Umsetzung ihrer Bildwelt in textile Werke erfolgt stets im Kontext der jeweiligen Situation: Sei es während eines zeitlich begrenzten Atelieraufenthalts, als mehrjähriges Projekt für spezifische Installationen oder in Kooperation mit lokalen Handwebereien bzw. technisch hochspezialisierten Textilunternehmen. Die Ausstellung „Gib Stoff!” im Gewerbemuseum Winterthur konzentriert sich auf neuere Arbeiten aus Stéphanie Baechlers installativem Werk. Skizzenbücher, Modelle, Anregungen und Statements erläutern ihre Ansätze und Arbeitsweisen.

Stéphanie Baechler (*1983 in Meyriez/CH) lebt und arbeitet heute in Amsterdam. Sie begann ihr Studium des Textildesigns an der Hochschule Luzern – Design, Film, Kunst – und schloss es mit einem Master in Mode an der ArtEZ Arnheim/NL ab. Sie arbeitete als Textilentwicklerin und Designassistentin für Hussein Chalayan in London und war Leiterin des Druckdesigns für das renommierte Schweizer Textilunternehmen Jakob Schlaepfer. Ihr künstlerisches Schaffen hat sich fortwährend in Richtung Skulptur und Installation entwickelt.
Im Jahr 2020 war Stéphanie Baechler Artist in Residence bei TaDA – Textile and Design Alliance in Arbon. 2024 zeigte sie in Zusammenarbeit mit der Kunsthalle St. Gallen ihre Installation „Forget Me Not” am historischen Tröckneturm in St. Gallen, zu der auch eine umfassende Publikation erschien.
Ihre Arbeiten waren in verschiedenen Gruppenausstellungen zu sehen, unter anderem in der Chamber Gallery New York, der Kunsthalle Fri Art Fribourg, dem Kunsthaus Centre d’art Pasquart Biel, dem ISO Amsterdam und dem Mode Museum Antwerpen. Ihre Werke befinden sich in öffentlichen und privaten Sammlungen, unter anderem in der HEAD – Genève, Haute école d’art et de design, im Museum für Gestaltung Zürich, im Musée d’art et d’histoire Fribourg, MAHF und in der Sammlung des Kantons St. Gallen. Vertreten werden ihre Arbeiten durch die Whitehouse Gallery in Brüssel.

Christoph Hefti

Christoph Hefti ist ein Geschichtenerzähler und unermüdlicher Schöpfer ausdrucksstarker Atmosphären. Die Bildwelten des Textildesigners und Künstlers bewegen sich oft im Bereich des Mystischen oder gar Unheimlichen. Figuren, Tiere und Fabelwesen beleben Szenerien in Fantasielandschaften aus Wäldern, Flüssen und Vulkanen. Wiederkehrende Motive wie überdimensionale Augen und eindrucksvolle Masken richten sich direkt an die Betrachter und Betrachterinnen und ziehen sie in den Bann.
Die Werke von Christoph Hefti sind vielfältig. Seine Liebe zu handgefertigten Textilien hat ihn unter anderem nach Nepal geführt, wo er regelmäßig seine eigene Serie handgeknüpfter Teppiche entwirft und entwickelt. Dort entdeckte er die direkte Interaktion zwischen Design und ausführenden Manufakturen wieder und war fasziniert davon, wie das tradierte Handwerk in einen zeitgenössischen Kontext eingebunden wird. Das Erzählen von Geschichten in Teppichen hat eine lange Tradition, die Christoph Hefti aufgreift und mit seiner eigenen Erlebniswelt belebt. Er setzt aber auch modernste Digitalprint-Techniken ein, um fantastische Vorhangstoffe mit großformatigen Motiven und Rapporten herstellen zu lassen. Oder er setzt sich selbst an die Nähmaschine und kreiert raumhohe Patchwork-Arbeiten. Die Ausstellung „Gib Stoff!” zeigt neben aktuellen Arbeiten aus den letzten Jahren auch ganz neue, eigens für die Schau im Gewerbemuseum Winterthur angefertigte Werke von Christoph Hefti in installativen Kompositionen. Zusätzlich geben seine Skizzenbücher, Entwurfszeichnungen und Inspirationsquellen Einblicke in sein Schaffen.

Der Textildesigner und Künstler Christoph Hefti (* 1967 in Lausanne, Schweiz) pendelt zwischen Brüssel, Paris und Zürich. Er studierte Textildesign an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK und wechselte danach an die Central Saint Martins in London, die er mit einem Master of Arts in Fashion abschloss. Anschließend begann er für Jean-Paul Gaultier in Paris und Dries Van Noten in Antwerpen zu entwerfen. Für Letzteren war Christoph Hefti 13 Jahre lang als Kreativassistent und Printdesigner tätig und verantwortlich für die bedruckten Stoffe, einschließlich Forschung, Design und Entwicklung. Später arbeitete er für verschiedene Modehäuser, darunter Lanvin und Balenciaga in Paris sowie Acne Studios in Stockholm.
In den letzten Jahren entwickelte er zunehmend eigene Textilarbeiten, die als bildhafte Welten in verschiedenen Materialisierungen – von Printvorhängen über handgeknüpfte Teppiche bis hin zu Patchwork-Wandbildern – textile Geschichten erzählen.
Das Werk von Christoph Hefti ist Teil der Sammlungen des Schweizerischen Nationalmuseums und des Museums für Gestaltung Zürich. 2009 erhielt er den „Grand Prix Design” vom Bundesamt für Kultur. Seine Arbeiten werden unter anderem durch die Galerien Maniera in Brüssel und Peter Kilchmann in Zürich vertreten.

Sonnhild Kestler

Sonnhild Kestler bereichert das textile Handwerk und ist Meisterin des Siebdrucks, der ihre Bildsprache geprägt hat. Anlässlich der Verleihung des Schweizer „Grand Prix Design 2010” an Sonnhild Kestler fiel in einer Beschreibung der Begriff „Kestler-Kosmos”. Die eigenwillige und unverkennbare Bildsprache, die diesen Kosmos seit über 30 Jahren prägt, ist eine flächig abstrahierte Motivik, die sich ausladend über Kleidungsstücke, Teppiche, Frotteetücher und Polsterstoffe zieht. Sie denkt immer vom Handwerk aus, forscht aber materialtechnisch weiter, lotet Grenzen aus und lässt auch den Zufall entscheiden. Sie setzt sich spielerisch mit Farben, Materialien und Produktionsmöglichkeiten auseinander, experimentiert mit Druckverfahren und Collagetechniken – unabhängig davon, ob es sich um Entwürfe für Mode oder Rauminstallationen handelt. Ihre Entwürfe entstehen in einer spezifischen Kompositionstechnik aus bedruckten Papieren. Diese setzt sie in den jeweils konzipierten Verfahren – Drucken, Weben, Knüpfen, Sticken – in Textilien um. Dabei betrachtet sie ihre fragmentierten Formenspiele als Übersetzungen von Wünschen, Träumen und Erlebtem. Anregungen gewinnt sie unter anderem aus ihren Reisen in andere Kulturen. So sind ihre Werke von der Folk-Art, der Ostblock-Ästhetik, asiatischer Kunst, traditionellen indischen Textilien, religiös motivierten Bildsprachen und der Alltagskultur inspiriert.
Ihre charakteristischen Foulards waren schon immer Bildkreationen. Seit ein paar Jahren entstehen daraus auch Raumbilder. Diese Erweiterung ihres künstlerischen Repertoires basiert auch auf der engen Zusammenarbeit mit dem renommierten New Yorker Textilunternehmen Maharam und den Schweizer BUR-Architekten. Beweglich und in spontanen Kombinationen überträgt sie ihre narrative Motivik von einer Dimension in die andere und kreiert aus ihrer unverkennbaren, beständigen Bildsprache immer wieder Neues. Diese additive Vorgehensweise bildet den Kern ihrer künstlerischen Handschrift und verweist zugleich auf eine einfache, „unverbildete” Art des Verzierens, in der sich ein urmenschliches Bedürfnis nach Schönheit ausdrückt.
Die Ausstellung „Gib Stoff!” zeigt diesen Textilkosmos, der für den Körper ebenso wie für den Raum geschaffen ist. Sie präsentiert aber auch Inspirationsquellen und Arbeitsprozesse. Im Gewerbemuseum Winterthur wird somit die verfeinerte, vielseitige Handarbeit wie auch das großartige Formenspiel aufgezeigt.

Sonnhild Kestler (* 1963 in Deutschland, aufgewachsen nahe Zürich) studierte Textildesign an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK. Ab 1985 arbeitete sie als selbstständige Designerin, unter anderem für die Schweizer Labels „Pink Flamingo”, „Apropos” und „Sourire en Soie”. Zeitweilig war sie als Illustratorin für diverse Magazine tätig. Ab 1988 teilte sie sich mit Karin Wälchli die erste Siebdruckwerkstatt. Gleichzeitig eröffnete sie mit dem Modedesigner Matthias Georg das Geschäft „Georg Couture”, in dem sie ihre ersten Produkte verkaufte. Ab 1996 war sie mit einem Shop-in-Shop bei Thema Selection eingemietet. Seitdem arbeitet sie unter ihrem eigenen Label „S. K. Hand-Druck”. Viele Jahre stellte sie einen Großteil ihrer Textilien in ihrem Atelier im Siebdruckverfahren von Hand her. Ihre Produktpalette umfasst vor allem Schals, Foulards, Frotteetücher, gewebte Woll- und Baumwolltücher sowie Accessoires, aber auch Kleidung wie Blusen, Kleider und Röcke. In den letzten Jahren wandte sich Sonnhild Kestler großformatigen Arbeiten zu. Teppiche, Polsterstoffe und Tapeten. 2010 wurde sie mit dem „Grand Prix Design” des Bundesamts für Kultur ausgezeichnet. Ihre Arbeiten sind unter anderem in den Sammlungen des Museums für Gestaltung Zürich und des Schweizerischen Nationalmuseums vertreten.

Gib Stoff! – Textile Bilder im Raum
6. Juni bis 2. November 2025