Georgischer Modernismus: Die Fantastische Taverne

1918, vor genau hundert Jahren, deklarierte Georgien als Demokratische Republik Georgien seine Unabhängigkeit. Eine Zeit der Freiheit brach an, die jedoch mit dem Einmarsch der sowjetrussischen Roten Armee 1921 bereits wieder ihr Ende fand. Tbilisi (oder Tiflis) wurde zum "Paris des Ostens" als sich dort internationale, teilweise aus Russland geflüchtete Künstler auf eine lokale Avantgarde traf, die im Austausch mit Europa stand. Daraus entwickelte sich eine offene, experimentelle und die Disziplinen überschreitenden Kunst, die gerade in unserer zunehmend polarisierten Zeit wegweisend erscheint.

Es war eine Zeit, in der sich Malerei, Skulptur, Zeichnung, Bühnenbild, Musik, Poesie, Wandmalerei, Literatur, Volkskunst, Ethnografie, Forschung, Typografie und Buchproduktion gegenseitig inspirierten und herausforderten. Entstanden ist dabei nicht nur georgischer Dadaismus, Irakli Gamrekelis wegweisende Bühnenbilder, die Malerei von Niko Pirosmanis Malerei, David Kakabadzes Kunst und Forschung, Ilya Zdanevičs georgische Version von Zaoum sowie sein interdisziplinäres Unternehmen 41° (41 Grad; eine Universität, Künstlergruppe und Verlag in einem), sondern auch grossartige Filme, typografische Experimente, radikale Theateraufführungen und bemalte Wirtshäuser sowie ein Lebensgefühl, das bis heute inspirierend bleibt.

"Georgischer Modernismus: Die Fantastische Taverne" ist eine Ausstellung, welche die Form eines Buches im Raum annimmt und dabei Material zeigt, das bedeutend, aber kaum jemandem bekannt ist. Darunter befinden sich frühe Werbefilme fürs Theater, sozialkritischen Komödien und eindrückliche Dokumentarfilme, u.a. auch von Noutsa Gogoberidze, der ersten Filmmacherin Georgiens. Die Ausstellung ist auch ein Aufruf, Geschichte selber zu schreiben: Sie steht im Geiste des Do-it-yourself und entstand in enger Zusammenarbeit mit Nana Kipiani, eine der führenden Kunsthistorikerinnen Georgiens. Georgischer Modernismus: Die Fantastische Taverne ist zwar historisch, aber nicht museal und autoritär, sie ist auch nicht endgültig, denn immer wieder kommen Filme, Texte und Dokumente zum Vorschau. So ist sie nach allen Seiten offen, darauf verweisen auch die künstlerischen Beiträge von Lia Bagrationi (Tbilisi), Levan Chogoshvili (Tbilisi) und Emil Michael Klein (Zürich).

Mit "Georgischer Modernismus: Die Fantastische Taverne" und der gleichzeitig stattfindenden Ausstellung "100 Wege des Denkens. Universität Zürich in der Kunsthalle" findet der "Stresstest Kunsthalle Zürich" seinen vorläufigen Abschluss. Seit 2015 wurden in verschiedenen Ausstellungen die Rolle einer Kunsthalle in der heutigen Zeit befragt. 1985, bei ihrer Gründung, war die Kunsthalle Zürich einer unter wenigen Akteuren, heute ist sie einer unter vielen: Aktuell gibt es rund 250 Biennalen und Kunstmessen, dazu kommen Tausende Galerien, Museen, Offspaces, Kunsthallen und Auktionshäuser.

Der 2015 initiierte Stresstest bestand darin, die Kunsthalle anderen Rollen auszusetzen, um ihre Grenzen und ihre Identität auszutesten – und sie einem breiten Publikum zu öffnen. So wurde die Kunsthalle Zürich unter anderem zum Theater (Theater der Überforderung, 2015), zum Spielplatz (The Playground Project, 2016), zum Festival (Tbilisi 16, 2016), zur Kirche (Rob Pruitt: The Church, 2017-2018) und nun wird sie vorübergehend zur Universität und zum Museum. Aus diesem Stresstest wurde im Lauf der Zeit jedoch eine Hommage an den Reichtum und die Offenheit unserer kulturellen Institutionen und damit auch eine Hommage an die Demokratie. Freiräume machen unsere Gesellschaft aus (das Internet gehört(e) auch dazu), sie braucht es mehr denn je in dieser polarisierten Zeit. Genau sie machten den Georgischen Modernismus möglich, bevor die Sowjetunion unter Stalin ihm ein baldiges Ende bereitete.


Georgischer Modernismus: Die Fantastische Taverne
25. August bis 4. November 2018
Eröffnung: 24. August 18, 18 Uhr