17. Oktober 2016 - 2:56 / Ausstellung / Malerei 
30. Juni 2016 23. Oktober 2016

Fünfzig Jahre nach ihrer Entstehung präsentiert das Städel Museum vom 30. Juni bis 23. Oktober 2016 Georg Baselitz’ berühmte "Helden"-Bilder in einer umfassenden monografischen Sonderausstellung. Georg Baselitz (geb. 1938) zählt zweifelsohne zu den prägendsten Malern und Bildhauern unserer Zeit. Seine kraftvolle Werkgruppe der "Helden" und "Neuen Typen" gilt weltweit als Schlüsselwerk der deutschen Kunst der 1960er-Jahre und wird in der von Max Hollein kuratierten Schau erstmals in vollem Umfang gezeigt.

Zu sehen sind rund 70 Gemälde und Arbeiten auf Papier, deren monumentale Figuren, aggressiv und trotzig gemalt, bis heute ambivalent, schicksalhaft und verletzlich wirken. Es sind zerschlissene Soldaten, resignierte Maler, denen ihr latentes Scheitern ebenso eingeschrieben ist wie ihre ungewisse Zukunft. Die inhaltliche Brüchigkeit und Widersprüchlichkeit der "Helden" findet ihr Äquivalent im Formalen. Die stets mittig frontal gegebene und klar konturierte Figur kontrastiert mit der Wildheit der Farbwahl und Heftigkeit der Malweise.

Leihgaben aus bedeutenden internationalen Museums- und Privatsammlungen eröffnen dem Publikum einen umfassenden Blick auf diese Ikonen der deutschen Nachkriegskunst, die der damals erst 27-jährige Baselitz 1965/66 in explosionsartiger Produktivität entwickelte. Nach ihrem Auftakt im Frankfurter Städel Museum wandert die groß angelegte Ausstellung weiter an das Moderna Museet Stockholm, in den Palazzo delle Esposizioni Rom und an das Guggenheim Museum Bilbao.

Georg Baselitz hatte 1965 eine in vielerlei Hinsicht zerstörte Ordnung vor Augen: Zwanzig Jahre nach Kriegsende standen in Deutschland Ideologien und politische Systeme sowie künstlerische Stile zur Diskussion. Dem Künstler kam dieser Mangel an Ordnungen entgegen, denn jegliche Vereinnahmung durch kategorische Einteilungen war und blieb ihm fremd. In seiner skeptischen Grundhaltung betonte er die zwiespältigen Aspekte seiner Gegenwart. Entsprechend widersprüchlich wirken seine monumentalen "Helden" im zerschlissenen Kampfanzug, die von Versagen und Resignation gezeichnet sind. Dass Baselitz sich in dieser Zeit überhaupt dem Thema der "Helden" zuwandte, war per se provokant.

Das (männliche) Heldentum und seine einstigen Vertreter waren durch Krieg und Nachkriegszeit fragwürdig geworden. Der Künstler lässt Gestalten aus einer bereits verschüttet geglaubten Vergangenheit wiederauferstehen und bildet damit eine Wirklichkeit ab, wie sie in der bundesrepublikanischen Erfolgsgeschichte des Wirtschaftswunders nur ungern gesehen wurde. Und das in der damals vermeintlich obsoleten Form der figurativen Malerei. Es ging in dieser Auseinandersetzung aber um weit mehr als um allgemeine Gesellschaftsfragen. Hier reflektierte der Maler selbst über seine eigene Position im Verhältnis zu dieser Gesellschaft – eine wuchtige Selbstbehauptung und Identitätsbestimmung entgegen allen aktuellen Strömungen der damaligen Zeit.

Die jeweiligen "Helden" und "Neuen Typen" mit ihren kolossalen Körpern und extrem kleinen Köpfen sind stets in der Bildmitte zu finden. Sie taumeln, schreiten teils ungeschickt, teils souverän durch den Bildraum. Die sie umgebende trostlose Landschaft zeugt, in Analogie zu ihren geschundenen Leibern, von Verwüstung: brennende Häuser, entlaubte Bäume, aufgewühlte Erdhaufen. Die vagabundierenden "Helden" tragen ein Repertoire an wiederkehrenden Gegenständen wie Tornister, Paletten und Malerpinsel oder Marterinstrumente mit sich.

Trotz der sich wiederholenden Ausführung im gleichen Format von 162 × 130 Zentimetern birgt jedes einzelne Werk einen eigenen Ausdruck, der stark mit der jeweiligen Malweise und Farbwahl zusammenhängt. In der losen chronologischen Abfolge der Werke in der Ausstellung zeichnet sich Baselitz’ allmähliche Loslösung vom Motiv ab. Von dort bis zur seiner späteren Umkehrung des Motivs ist es nur noch ein kurzer Weg.

Der am 23. Januar 1938 in Deutschbaselitz in Sachsen geborene Georg Baselitz begann sein Kunststudium an der Hochschule für bildende Kunst in Berlin-Weißensee (Ost). Nach zwei Semestern wurde er wegen "gesellschaftspolitischer Unreife" von der Schule verwiesen und setzte daraufhin 1957 sein Studium in Berlin-Charlottenburg (West) fort. Erste Auslandsreisen führten ihn nach Amsterdam und Paris. 1961 begann seine Ausstellungsaktivität gemeinsam mit Eugen Schönebeck in einem leerstehenden Haus, anlässlich deren das später so genannte erste "Pandämonische Manifest" erschien. Es folgten kontrovers diskutierte Galerieausstellungen. 1966 verließ er Berlin und siedelte nach Rheinhessen (nahe Worms) um.

1969 malte Baselitz sein erstes Bild mit umgekehrtem Motiv – dieser Entscheidung blieb er in der weiteren Werkentwicklung treu. Die Bekanntheit des Künstlers wuchs, und damit häuften sich seine Ausstellungsteilnahmen im Ausland; 1980 vertrat er zusammen mit Anselm Kiefer die Bundesrepublik Deutschland bei der 39. Biennale von Venedig. Es folgten vielbeachtete Ausstellungen in verschiedenen Ländern, darunter in Großbritannien und in den USA. Auch die bereits 1978 in Karlsruhe begonnene Lehrtätigkeit setzte sich zwischen 1983 und 1988, später wieder ab 1992 in Berlin fort. Zahlreiche Retrospektiven, Auszeichnungen, Preise und Ehrenprofessuren würdigen bis heute die Bedeutung seines Schaffens.


Katalog: Zur Ausstellung erscheint im Hirmer Verlag ein von Max Hollein und Eva Mongi-Vollmer herausgegebener Katalog mit einem Vorwort von Max Hollein und Beiträgen von Uwe Fleckner, Max Hollein, Alexander Kluge, Richard Shiff und Eva Mongi-Vollmer. Deutsche und englische Ausgabe, ca. 190 Seiten, 29,90 Euro (Museumsausgabe).

Georg Baselitz. Die Helden
30. Juni bis 23. Oktober 2016

Städel Museum
Dürerstraße 2
D - 60596 Frankfurt am Main

W: http://www.staedelmuseum.de/

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