Genrekino auf der Piazza, Autorenfilme im Wettbewerb

Fein säuberlich getrennt präsentiert sich bislang das Programm des 64. Filmfestivals von Locarno (3.-13.8. 2011): Während auf der Piazza mit dem postapokylptischen deutschen Thriller "Hell" oder dem Action-Science-Fiction-Film "Attack the Block" Genrekino dominiert, hinterließ im Wettbewerb der Rumäne Adrian Sitaru mit dem formal konsequenten "Din dragoste cu cele mai bune intèntii - Best Intentions" bislang den stärksten Eindruck.

Die Vorliebe von Festival-Direktor Olivier Père fürs Genrekino prägt das Piazzaprogramm. Wie schon letztes Jahr mit "Rammbock" oder Bruce LaBruce wenig erfreulichem "L.A. Zombie" lässt Père auch heuer wieder Zombies und Aliens aufs Publikum los. Gab es beides vermischt schon im Eröffnungsfilm "Super 8", so werden mit "Cowboys and Aliens" nicht nur Daniel Craig und Harrison Ford im Tessin erwartet, sondern auch auf der Leinwand nochmals Aliens.

Greifen die Ausserirdischen in Jon Favreaus Blockbuster im Wilden Westen des 19. Jahrhunderts ins Geschehen ein, so starten sie in Joe Cornishs kleinem, aber feinem "Attack the Block" einen Angriff auf einen Häuserblock im desolaten Süden Londons. Am Beginn steht der Überfall einer Jugendgang auf eine junge Krankenschwester, doch bald schon werden die Jugendlichen selbst zu Gejagten, müssen im Kampf gegen die pechschwarzen affenartigen Aliens, von denen außer Schemen fast nur das fluoreszierende Gebiss deutlich zu erkennen ist, über sich selbst hinauswachsen.

Im Grunde verlegt Cornish den Westernplot von der Verteidigung eines Forts gegen angreifende Indianer ins London von heute und ließ sich dabei auch von John Carpenters "Assault" oder Walter Hills "Warriors" inspirieren. Nichts wirklich Neues bringt "Attack the Block" damit, bietet aber überzeugendes handfestes und frisches Genrekino alter Schule. Ohne lange Exposition beginnend, sich auf eine Nacht, einen Häuserblock und die Gang, die zudem in einen Kampf mit einem Drogenboss verwickelt wird, beschränkend, entwickelt sich ein kleiner, aber in der schnörkellosen und knappen Erzählweise packender Thriller, der auch von der Einbettung in ein atmosphaerisch dicht eingefangenes tristes Milieu, authentischen Jungschauspieler sowie starkem Sound-Design und Rap-Musik lebt.

Schwer an der Last eines sehr ähnlichen Films zu tragen hat dagegen der deutsche Endzeitthriller "Hell". Den Titel kann man sowohl als "Helligkeit" als auch englisch als "Hölle" lesen, denn die Welt des Jahres 2016 hat sich durch dramatische Klimaveränderung in eine glühend heiße helle Hölle verwandelt. Die Natur ist abgestorben, Treibstoff und Lebensmittel knapp. Durch diese Öde versuchen sich ein Mann und zwei Frauen mit ihrem Wagen Richtung Norden durchzuschlagen, wo die Lebensbedingungen besser sein sollen. Gefahr droht ihnen dabei auch von marodierenden Banden, die sich von Menschenfleisch ernähren.

Visuell stark sind die ausgeblichenen, fast monochrom in Sandfarben getauchten grell überbelichteten Bilder, die die Endzeitatmosphäre bestechend vermitteln, doch wie diese so erinnert auch die ganze Handlung teilweise bis in Details an John Hillcoats "The Road" oder den diesem Film zugrunde liegenden Roman von Cormac McCarthy. Den Vorwurf der Kopie kann man dem jungen deutschen Regisseur Tim Fehlbaum aber kaum machen, hat er das Projekt doch entworfen, bevor das Buch auf den Markt kam. Dennoch fordert "Hell" immer wieder einen Vergleich mit Hillcoats Film heraus, bei dem der deutsche Thriller dann doch schlecht abschneidet.

Eindrücklich vermittelt Fehlbaum zwar, wie Menschen einerseits in Extremsituationen über sich hinauswachsen und wie stark der Überlebenswillen ist, andererseits auch, wie schnell die dünne Schicht der Zivilisation abblättert und jeder nur noch an sich denkt, doch die Handlung an sich holpert etwas beliebig dahin, lässt zwingenden Aufbau vermissen. Und mögen Hannah Herzsprung und Stipe Erceg auch mit noch so viel Einsatz spielen, das Drehbuch lässt ihnen doch zu wenig Raum, als dass sie die Figuren so entwickeln könnten, dass deren Schicksal einem wirklich nahe geht. Am eindrucksvollsten ist da noch Angela Winkler als scheinbar fürsorgliche Frau, die letztlich aber nur im Interesse ihrer Söhne handelt.

Im Gegensatz zum Piazzaprogramm dominiert im Wettbewerb Autorenkino. Am überzeugendsten wurde diese Position bislang vom Rumänen Adrian Sitaru vertreten. In den für das rumänische Kino gewohnten sehr langen Einstellungen erzählt Sitaru eine gänzlich undramatische alltägliche Geschichte, gleichwohl nimmt die Konsequenz der Inszenierung von der ersten Minute an gefangen.

Nachdem die Mutter des etwa 30-jährigen Alex einen Schlaganfall erlitten hat, besucht Alex sie im Krankenhaus. Dort mischt er sich ständig in die Behandlung ein, versucht die Verlegung in ein anderes - seiner Meinung nach besseres - Krankenhaus zu erreichen. Der Zustand der Mutter ist zwar gut, doch Alex dramatisiert die Situation und nervt durch sein besserwisserisches Verhalten Krankenhauspersonal wie Vater, Mutter und Freundin.

Indem die Kamera fast durchwegs aus der Perspektive von Alex" Gesprächspartnern auf den Protagonisten blickt, sieht sich der Zuschauer rund 100 Minuten lang mit diesem überbesorgten hysterischen Zeitgenossen konfrontiert. Sitaru hält das formale Konzept mit bestechender Konsequenz durch, die anfängliche Dichte lässt aber gegen Ende doch nach, da ganz gezielt die Geschichte nicht dramatisch zugespitzt, sondern die anfängliche Dramatik sogar sukzessive zurückgenommen wird, sich das Geschehen im Krankenzimmer mit geringen Variationen wiederholt und Alex somit auf Dauer nicht nur seine Gegenüber im Film, sondern auch den Zuschauer nervt.