Genauer Beobachter menschlicher Beziehungen: Jacques Becker

Jacques Becker, 1906 geboren und 1960 im Alter von 53 Jahren verstorben, revolutionierte mit seinen 14 Filmen das Kino nicht, gehörte weder einer Bewegung an noch wurde er zur Leitfigur für Jüngere. Selten werden seine Filme heute gespielt, sein Name ist fast nur Insidern bekannt und dennoch zählt der Franzose zu den großen Regisseuren des Weltkinos. – Das Filmpodium Zürich widmet Becker derzeit eine Retrospektive.

Durch Zufall kam der am 15. September 1906 in Paris geborene Jacques Becker zum Film. Als Angestellter einer Reederei lernte er bei einer Atlantiküberquerung den amerikanischen Regisseur King Vidor kennen, der den jungen Franzosen für den Film begeisterte. Ab 1932 arbeitete er als Assistent für Jean Renoir, ehe er 1939 seinen ersten Spielfilm drehen sollte. Der Kriegsausbruch unterbrach aber die Dreharbeiten an "L´or du Cristobal", der schließlich von Jean Stelli fertiggestellt wurde.

Wie seine Kollegen Henri-Georges Clouzot und Robert Bresson debütierte auch Becker während der Kriegszeit. Auf den Krimi »Dernier atout« ("Der letzte Trumpf", 1942) folgte ein Jahr später mit "Goupi Mains-Rouges" ("Eine fatale Familie", 1943) das Porträt einer bäuerlichen Familie, in dessen realistischer Schilderung des Landlebens der Einfluss Jean Renoirs spürbar ist. Das Porträt einer Familie, einer Landschaft und eines Milieus ist Becker wichtiger als die Handlung. Genau registriert er Details des bäuerlichen Lebens, aber auch die schwierigen Beziehungen innerhalb der Familie.

In die Metropole Paris verlagert finden sich diese präzisen Milieustudien in den folgenden Filmen. Der während der Besatzungszeit gedrehte, aber erst 1945 gezeigte "Falbalas" spielte im Milieu der Haute Couture, "Antoine et Antoinette" (1947) und "Edouard et Caroline" (1951) widmeten sich dem Alltagsleben eines Ehepaares und "Rendez-vous de juillet" ("Jugend von heute", 1949) spielte unter der Nachkriegsjugend von St.-Germain-des-Prés.

Nicht im zeitgenössischen Paris, sondern während der Belle Époque angesiedelt ist "Casque d´or" ("Goldhelm", 1952), der vielfach als Beckers bester Film gilt. In diesem Melodram um eine tödlich endende Dreiecksbeziehung im Gaunermilieu wird visuell meisterhaft und mit großem Stilwillen die Stimmung der Zeit und des Milieus eingefangen. Mit dem Gangsterfilm "Touchez pas au grisbi" ("Wenn es Nacht wird in Paris", 1954) kehrte Becker in die Gegenwart zurück. Im Gegensatz zu Jules Dassins fast gleichzeitig entstandenem "Du rififi chez les hommes" (1955) interessierte ihn aber weniger die Krimihandlung als vielmehr die Komplexität der Charaktere und ihre Beziehungen zueinander.

Diese gruppendynamischen Prozesse stehen auch im Mittelpunkt von Beckers letztem Film, dem Gefängnisfilm "Le trou" ("Das Loch", 1960). Akribisch beschreibt er nur unter Verwendung von natürlichen Geräuschen die alltäglichen Verrichtungen einer Zellengemeinschaft von mit Laien besetzten Schwerverbrechern, die einen Ausbruch vorbereiten. Auf alle moralischen Aspekte oder eine Anklage gegen Justiz und Strafvollzug verzichtet der genaue Beobachter des menschlichen Verhaltens. Becker geht es darum zu zeigen, wie sich Gemeinschaften je nach den persönlichen Interessen bilden und auflösen. Noch vor der Uraufführung dieses Films verstarb Jacques Becker am 21. Februar 1960 im Alter von 53 Jahren.