Die deutsch-venezolanische Künstlerin Gego – mit bürgerlichem Namen Gertrud Goldschmidt – zählt zu den Pionierinnen der modernen Kunst in Lateinamerika. Sie ist bekannt für ihre filigranen, netzartigen Zeichnungen, Skulpturen und Installationen. Im Rahmen der Sammlungspräsentation „Kosmos Klee” widmet das Zentrum Paul Klee der Künstlerin in Bern die erste Einzelausstellung in der Schweiz und zeigt Zeichnungen, Aquarelle, Druckgrafiken sowie ausgewählte Skulpturen.
Gertrud Goldschmidt (1912 in Hamburg – 1994 in Caracas), die sich als Künstlerin stets „Gego” nannte, wurde 1912 in eine deutsch-jüdische Bankiersfamilie geboren. Sie studierte zunächst Ingenieurwesen und Architektur in Stuttgart. Sie gehörte zu den letzten jüdischen Hochschulabsolvent:innen, die im nationalsozialistischen Deutschland noch ein Diplom erhielten. Aufgrund der sich rasch verschärfenden antisemitischen Diskriminierung und Gewalt musste sie 1939, kurz nach ihrem Abschluss, aus Deutschland fliehen. Gego emigrierte nach Venezuela, wo sie sich ab den 1950er-Jahren erstmals künstlerisch betätigte. Bekanntheit erlangte sie insbesondere mit ihren Rauminstallationen, den Reticuláreas. In den letzten Jahren wurden Gego vielbeachtete Museumsausstellungen im Ausland gewidmet, so etwa 2023 im Guggenheim-Museum in New York. Die Fokus-Ausstellung im Zentrum Paul Klee vereint verschiedene Werkgruppen der Künstlerin.
Im Zentrum von Gegos Schaffen stehen das Zeichnen und die Auseinandersetzung mit dem Raum. Während ihrer Ausbildung zur Ingenieurin und Architektin diente das Zeichnen ihr zunächst vor allem als Entwurfstechnik. Unter dem Einfluss von Kunstschaffenden wie Paul Klee, Anni Albers, Josef Albers oder Naum Gabo löste sie sich jedoch in den 1950er-Jahren von den Regeln des technischen und architektonischen Entwerfens und entdeckte das Zeichnen als Form des freien künstlerischen Experimentierens und Erfindens.
Im Geist der abstrakten Kunstströmungen der 1960er-Jahre entwickelte sich Gegos künstlerische Tätigkeit hin zu einer spielerischen Auseinandersetzung mit Geometrie, Strukturen und Netzen, Raum und Bewegung sowie Transparenz und Wahrnehmung. Wie andere wichtige Vertreter:innen der abstrakten Kunst in Lateinamerika – beispielsweise die Brasilianerin Lygia Clark oder die venezolanischen Künstler Jesús Rafael Soto und Alejandro Otero – verfolgte Gego das Ziel, die traditionellen Grenzen der Kunst zu erweitern und dem Geist des Aufbruchs und des Fortschritts jener Zeit Form zu geben. Mit ihrem Werk trug Gego entscheidend zur Entwicklung der geometrischen Abstraktion und der kinetischen Kunst in Lateinamerika bei. Diese Strömungen dominierten in den 1960er-Jahren von Venezuela über Brasilien bis Uruguay und Argentinien.
Gegos Schaffen lässt sich ab den 1950er-Jahren verschiedenen Werkgruppen zuordnen, an denen sie jeweils über mehrere Jahre hinweg arbeitete. In den 1960er-Jahren entstanden beispielsweise zahlreiche Zeichnungen und Druckgrafiken, die Linien-, Netz- und Gitterstrukturen zeigen und den Eindruck dreidimensionaler Formen erzeugen. Sie wurde jedoch vor allem für die skulpturale Anwendung ihrer Bildideen bekannt, die sie in Form von raumfüllenden und oft begehbaren Drahtinstallationen umsetzte und Reticuláreas (Netzstrukturen) nannte. Ihre erste Reticulárea schuf Gego im Juni 1969 im Museo de Bellas Artes in Caracas.
Mit diesen Raumzeichnungen forderte Gego die traditionelle Vorstellung von Skulptur heraus: Anstatt feste, statische Formen zu schaffen, sind die Reticuláreas als flexible, modulare Netzstrukturen konzipiert, die den Raum durchdringen und aus verschiedenen Perspektiven erlebt werden können.
Die in der Fokus-Ausstellung gezeigten Zeichnungen, Aquarelle, Druckgrafiken und Kleinskulpturen sind sowohl eigenständige Werke als auch Experimente im Hinblick auf die großen Rauminstallationen, die Gego an verschiedenen Orten realisierte. Sie geben Einblick in Gegos künstlerischen Arbeitsprozess und skizzieren ihre bis heute faszinierende, vielfältige Auseinandersetzung mit der Zeichnung und dem Raum.
Fokus. Gego (Gertrud Goldschmidt)
Bis 18. Jänner 2026