Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Gründung dieser Bewegung zeigt die Hamburger Kunsthalle eine umfassende Ausstellung zum internationalen Surrealismus und spürt dabei der deutschen Romantik als einer seiner wichtigsten geistigen Verwandten nach.
Ausgehend von einem erstmals thematisierten Bilderpaar der Kunsthalle treffen über 230 surrealistische Ikonen großer wie auch neu zu entdeckender Surrealist:innen wie Max Ernst, Meret Oppenheim, René Magritte, André Masson, Salvador Dalí, Dorothea Tanning, Paul Klee, Valentine Hugo, Victor Brauner, Toyen und viele andere in neuartigen Kontexten und spannungsvollen Gegenüberstellungen auf über 70 Meisterwerke der deutschen Romantik von Caspar David Friedrich und Philipp Otto Runge sowie auf romantische Dichtung. Denn die Faszination der deutschen romantischen Künstler:innen und Dichter:innen für den Traum – als ein Sehen höherer Art begriffen –, die Einbildungskraft, die Nacht, aber auch der Mikro- und Makrokosmos sowie ein besonderes Naturgefühl gehörten zu den Inspirationsquellen, die sich der Surrealismus ein Jahrhundert später zu eigen machte. Geisteshaltungen und Bilderfindungen von Friedrich, Runge, Carl Gustav Carus, Carl Wilhelm Kolbe und vielen anderen spielten ebenso wie die Schriften von Novalis, Achim und Bettine von Arnim, Karoline von Günderrode, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Hölderlin oder Heinrich von Kleist eine bedeutende Rolle bei der Suche nach einer revolutionären Kunst im 20. Jahrhundert. Dies geschah erstaunlicherweise besonders in den Jahren des Krieges, in Widerstand und Exil. Der Surrealismus knüpfte als Reaktion auf die „Entzauberung der Welt“ an die Romantik an und spiegelte ihre revolutionäre Dimension wider. Ziel beider Bewegungen war ein Lebensgefühl, die Infragestellung einer scheinbar gegebenen Realität und ihrer Grenzen – und damit nicht weniger als eine Transformation des Individuums und der Gesellschaft. Auch wenn sie aus unterschiedlichen historischen Situationen geboren wurden, scheint das Credo von Novalis nach der „Romantisierung der Welt” das Streben der Gruppe nach einer höheren geistigen Revolte in einer „Surrealität” vorwegzunehmen.
In der Zusammenschau werden Analogien und Unterschiede von Werken beider Strömungen in anregenden Gegenüberstellungen ebenso wie in expliziten Hommagen sichtbar. Ein Beispiel ist Max Ernsts Gemälde „Ein schöner Morgen (Un beau matin)” und Philipp Otto Runges „Der Morgen” (erste Fassung) aus dem Jahr 1808. Ernst malte es 1965 nach seinem ersten Besuch der Hamburger Kunsthalle und bezieht sich konzeptuell wie formal auf den von ihm verehrten Runge. Beide Spitzenwerke befinden sich seit mehr als 60 Jahren in der Sammlung der Kunsthalle und werden nun zum ersten Mal gemeinsam präsentiert. Eine weitere überraschende Hamburger Rezeptionsgeschichte wird zu Max Ernsts berühmtem Schlüsselbild des Surrealismus „Das Rendezvous der Freunde“ (1922) mit neu erforschten Kontexten aufgefächert.
Ein zeitgenössisches Werk, die Videoarbeit „Manifesto” (2015) von Julian Rosefeldt, führt in die Ausstellung und die Aktualität der Fragestellung ein, die André Breton mit seinem surrealistischen Manifest vor 100 Jahren aufwarf, indem er die Bedeutung der Einbildungskraft und des Träumens sowie das Entdecken anderer Realitätsebenen ins Zentrum rückte.
Die präsentierten Werke vom späten 18. Jahrhundert bis 1980 umfassen alle Medien. Insgesamt werden ca. 300 Gemälde, Grafiken, Zeichnungen, Fotografien, Filme, Skulpturen und Objekte von 65 Surrealist:innen und 30 Romantiker:innen zusammengetragen. Unter ihnen sind viele immer noch zu wenig bekannte Surrealistinnen wie Meret Oppenheim, Dorothea Tanning, Remedios Varo, Suzanne Van Damme und Jane Graverol. Auch eine Vielzahl von Archivalien und Manuskripten verfolgt die Spur der Rezeption der deutschen Romantiker:innen durch den Surrealismus.
Rendezvous der Träume
Surrealismus und deutsche Romantik
Bis zum 12. Oktober 2025.