Gegen den Strich

Vom 20. Oktober 2012 bis 17. Februar 2013 präsentiert die Kunsthalle Bremen die umfangreiche Sonderausstellung "Friedensreich Hundertwasser: Gegen den Strich. Werke 1949 bis 1970". Mit einer Auswahl zentraler, aber selten gezeigter Arbeiten aus dem Frühwerk des Künstlers sowie klassischen Meisterwerken werden neue Perspektiven auf das Schaffen Hundertwassers eröffnet.

Friedensreich Hundertwasser (1928–2000) ist einer der populärsten Künstler des 20. Jahrhunderts, der aber auch oft missverstanden und unterschätzt wird. Die Ausstellung zeigt den Künstler als prominentes Mitglied der internationalen Avantgarde, der in den 1950er Jahren in Paris arbeitete und eine Bildsprache parallel zum herrschenden Informel entwickelte. In den 1960er Jahren vertrat Hundertwasser Österreich auf der Biennale in Venedig und stellte auf der documenta III in Kassel aus. Mit seiner Suche nach neuen leuchtenden Farbwelten und als Vordenker visionärer Kunstformen betrat er in den 1950er- und 1960er-Jahren Neuland. Während dieser Schaffensphase stand er im Austausch mit zahlreichen Vertretern der internationalen Kunstszene wie u.a. Yves Klein, Pierre Soulages, Jean Tinguely, Alain Jouffroy und Arnulf Rainer.

In seiner Theorie des "Transautomatismus" (1954–1957) formuliert Hundertwasser, dass es die Aufgabe der Kunst sei, dem Menschen ein neues Sehen zu lehren. Die Kunsthalle Bremen bietet neue Perspektiven auf einen der bekanntesten und zugleich umstrittensten Künstler des 20. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt der seit vielen Jahren größten Ausstellung seines Werkes stehen Hundertwassers beeindruckendes Frühwerk und Meisterwerke der 1950er- und 1960er-Jahre. Es werden um die 100 ausgewählte Gemälde, Graphiken, Aquarelle, Manifeste und Plakate präsentiert, die zu den Ursprüngen und frühen kreativen Höhepunkten dieses außergewöhnlichen Künstlers zurückführen. Die Ausstellung bringt bedeutende Leihgaben unter anderem aus dem Centre Pompidou in Paris; dem Louisiana Museum of Modern Art in Dänemark; der Albertina, dem Belvedere, dem Kunst Haus Wien und dem Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig in Wien sowie aus zahlreichen Privatsammlungen ausBelgien, Deutschland, Frankreich, Liechtenstein, Österreich und der Schweiz zusammen.

Die wachsende, organische und ungerade Linie ist für Hundertwasser das zentrale künstlerische Element und Ausdruck seines naturverbundenen Ansatzes. Im "Verschimmelungsmanifest" gegen den Rationalismus in der Architektur von 1958 wettert er gegen die gerade Linie: "Die gerade Linie ist keine schöpferische, sondern eine reproduktive Linie. In ihr wohnt weniger Gott und menschlicher Geist, als vielmehr die bequemheitslüsterne, gehirnlose Massenameise." Er spricht sich für "schöpferische Verschimmelung" aus, denn Schimmel beseele die gerade Linie. 1953 entdeckt er das Schlüsselmotiv der Spirale – Symbol des Lebens, der Schöpfung und des kreativen Akts.

Die Spirale findet sich in vielfältigen Variationen in Hundertwassers Werk, beispielweise auch in dem außergewöhnlichen Gemälde 178 "Die politische Gärtnerin" auf deren Armen ein Hakenkreuz sowie Hammer und Sichel zu finden sind. Wie der Künstler selber beschreibt, schuf er das Gemälde, um die Kraft der Symbole zu "entschärfen" und ihre formale Struktur zu betonen. Hundertwasser plädiert für eine vorurteilsfreie Annäherung und Beachtung einer reinen ästhetischen Qualität, um die Macht der Symbole zu brechen. "Hier habe ich praktiziert, "politische Symbole lieben zu lernen", vorurteilslos, wie Kinder etwas Schönes sehen, ohne zu wissen, was es ist oder was es bedeutet." (Wieland Schmied (Hrsg.), Hundertwasser 1928–2000. Werkverzeichnis, Bd. 1: ders., Persönlichkeit, Leben, Werk, Köln 2000, Bd. 2: Andrea Christa Fürst, Werkverzeichnis, Köln 2002, S. 259). Gleichzeitig ist "Die politische Gärtnerin" eine programmatische, lebensbejahende Demonstration der Kraft der Natur und des unaufhaltsamen Fortschritts des Lebens, der in dem Lebensrad des Hakenkreuzes symbolisiert wird.

Nicht nur in stilistischer und ökologischer Hinsicht war Hundertwasser ein Pionier, sondern auch in Bezug auf die Performance und Aktionskunst setzte er wichtige Impulse: 1959 führte Hundertwasser gemeinsam mit Bazon Brock und Herbert Schuldt die Aktion "Die Linie von Hamburg durch". Über die Dauer von zwei Tagen überzogen sie mit einer Gruppe von Studenten die Wände des Ateliers 213 in der Hochschule für bildende Künste in Hamburg Lerchenfeld mit einer endlosen Linie, die sich spiralförmig in die Höhe wand. Diese nicht genehmigte Aktion führte zu einem Eklat mit dem Direktor und schlussendlich zu Hundertwassers Rücktritt von seiner Gastdozentur. Bis heute gilt "Die Linie von Hamburg" als eine Geburtsstunde der europäischen Aktionskunst. Die Kunsthalle Bremen inszeniert diese Linie in enger Zusammenarbeit mit Bazon Brock neu. Im Geiste des Originals wird ununterbrochen – mehr als 48 Stunden lang – vor der Eröffnung der Ausstellung eine Linie gezogen und die Große Galerie in der Kunsthalle in eine endlose Spirale verwandelt.

Hundertwassers bahnbrechendes ökologisches Engagement entwickelte sich aus seinem künstlerischen Schaffen sowie seinem Glauben an die Kraft der Natur und an individuelle Kreativität. Schon im Frühwerk stellt er sinnbildhaft dem gesellschaftlichen Konformismus seine komplexe Kompositionen und opulente Farbgestaltung entgegen. Seine für die damalige Zeit radikalen zivilisationskritischen und ökologischen Positionen werden durch Manifeste und Aktionen dokumentiert und in der Ausstellung in Beziehung zu seinem malerischen Werk gesetzt. Der Künstler vertritt einen entschieden ganzheitlichen Ansatz, der sich in seiner Maltechnik, Bildinhalten wie Lebensweise reflektiert: Er hat eine Abneigung gegen das Arbeiten mit vorgefertigten Materialien und Farben, benutzt Packpapier und gefundene Papierreste als Bildunterlage, stellt seine Umwelt durch ein vegetativ wucherndes Formengerüst dar. Schon früh praktiziert er eine nomadenhafte Existenz, propagiert ein einfaches und unabhängiges Leben mit minimaler Wirkung auf die Umwelt und fertigt seine eigene Kleidung. Leben und Arbeit, Leben und Kunst sind für Hundertwasser eins.

Zur Ausstellung erscheint im Hatje Cantz Verlag ein Katalog mit ca. 160 Abbildungen und Texten von Astrid Becker, Robert Fleck, Christoph Grunenberg, Robert Hodonyi und Ulrike Schmitt sowie ausgewählten Texten von Friedensreich Hundertwasser. Der Katalog kostet EUR 29,-.

Friedensreich Hundertwasser: Gegen den Strich. Werke 1949 bis 1970
20. Oktober 2012 bis 17. Februar 2013