Ganz Auge

Vier Jahrzehnte war Barbara Klemm für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" unterwegs, die sie mit ihren Fotografien entscheidend prägte. Bereits zur Eröffnungsausstellung des MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main im Juni 1991 wurden Fotografien von Barbara Klemm aus Deutschland und Osteuropa gezeigt und auch für die Sammlung des Museums erworben. Bis heute konnte die Werkgruppe auf 254 Bilder ausgebaut werden und ist damit eine der größten Sammlungen in Museumsbesitz.

Als Chronistin unserer Zeitgeschichte hat Barbara Klemm alle Kontinente bereist. Sie kann Geschichten mit einem einzigen Bild erzählen – mit einer Intensität und in einer Dichte wie kaum jemand sonst: "Barbara Klemm ist ganz Auge, ein Auge, das ständig unterwegs ist. Sie sucht nicht, sie findet, sie entdeckt das, was sie berührt, ergreift, fasziniert, was ihren Humor anspricht und worin sie Zeichen der Zeit erkennt. Und dabei bietet ihr die Straße seit ihren Anfängen das vielfältigste und stimmungsreichste Motivrepertoire, was Menschen, Landschaft, Klimazonen und das Licht der verschiedenen Jahres- Tages- und Nachtzeiten angeht." (Barbara Catoir)

Neben Barbara Catoir hat auch Hans Magnus Enzensberger einen Text für den im Züricher Nimbus-Verlag erscheinenden Bildband von Barbara Klemm verfasst. Darin spricht er von der Straße als einer "Weltausstellung in Permanenz, ohne Programm, ohne Direktion und ohne Eintrittskarte. Das Personal wechselt fortwährend, ein enormes Ensemble sorgt für Unterhaltung, für Ärger, für ein Wechselbad der Gefühle ... Die Straße ist ein hoffnungsloser Fall. Denn die Straße gehört uns allen."

Die Straße als Ort der größten Alltäglichkeit meint hier öffentlichen Raum in allen erdenklichen Facetten. Ob zwischen den Hochhäusern von New York oder auf einer Piste der inneren Mongolei, ob an einer Busstation in Johannesburg oder zwischen Hütten in den Anden – überall spürt Barbara Klemm der "condition humaine" nach. Die Straße ist der Ort, wo gearbeitet, gegessen und gefeiert wird. Dann wieder erscheint sie als Theater, auf der Figuren sich wie auf einer Bühne begegnen. Momente der Situationskomik stehen neben Bildern elementarer Not. In jedem Fall aber geht es um den Menschen und darum, wie er lebt.

Trotz aller Kontraste, die ihr begegnen, vermeidet Barbara Klemm alles Plakative. Dies ist ihre große Kunst: dem Unscheinbarsten und Elendsten seine Würde zu lassen. Und man fragt sich, wie sie es – an jedem Punkt dieser Welt – fertig bringt, mit ihrer Kamera ohne viel Aufhebens anwesend zu sein und gleichzeitig in tiefstem Sinn Anteil zu nehmen. Die Ausstellung des MMK zeigt etwa 60 Fotografien, die im Bildband vertreten sind, ergänzt um Arbeiten aus der Sammlung des Museums.

MMK Zollamt: Barbara Klemm
15. Oktober bis 22. November 2009