Fritten und Brillanten

In seinen großformatigen Gemälden unterschied Dieter Krieg nie zwischen den großen und kleinen Dingen des Lebens. Mit kraftvollem Gestus warf er zumeist banale Gegenstände in überdimensionaler Vergrößerung auf die Leinwand und verlieh ihnen damit eine Bedeutung, die in der "hohen" Kunst bislang unangebracht schien. Das umfangreiche Werk des gebürtigen Lindauers lässt Raum für Tragik und Komik, für Sinnlichkeit und ästhetische Schärfe – eben für Fritten und Brillanten. In Zusammenarbeit mit der Stiftung Dieter Krieg widmet das Kunstmuseum Stuttgart dem 2005 verstorbenen Maler und Professor an der Düsseldorfer Akademie die erste Retrospektive, die einen Überblick über Kriegs gesamte künstlerische Entwicklung ermöglicht.

Der Schüler HAP Grieshabers in Karlsruhe gehörte seit den 1960er Jahren zu den markantesten Vertretern der so genannten Neuen Figuration. 1978 bespielte Dieter Krieg mit Ulrich Rückriem den Deutschen Pavillon der Biennale Venedig. Die geradezu abstrakten Werke, die er für diese "Weltschau der Kunst" geschaffen hat, eröffnen die aktuelle Sonderausstellung im Kubus des Kunstmuseums. Dennoch geht Kurator Daniel Spanke nicht chronologisch vor, sondern macht anhand von über 100 Werken das ebenso vielfältige wie vielschichtige Œuvre Kriegs durch thematische, zum Teil auch überraschende Zusammenstellungen verschiedener Werkgruppen sichtbar.

Dieter Krieg hat sich immer wieder intensiv mit seinen Motiven auseinandergesetzt. Krieg lotet stets die Möglichkeiten der Malerei aus – mit einer Wucht, die fasziniert und überwältigt. Jedoch stellt er das eigene Malen auch immer wieder in Frage: 1978 schreibt er auf ein Bild mit einem Teller Pommes Frites: "Comment peindre" und in Bleistift dazu: "des pommes frites?" – "Wie Pommes Frites malen?" Der hoch theoretische Diskurs wird ins Alltägliche übertragen. Ein Jahr später entsteht das Gemälde "Fritten und Brillanten" – die groteske Kombination verschiedener Wertigkeiten offenbart Kriegs hintergründige Sicht auf die Welt. Immer wieder lässt sich in der Ausstellung die Entwicklung einzelner Bildmotive nachvollziehen: So steht die Installation "4-Watt-Lampen" von 1972 einer Serie von Vorhangbildern gegenüber, die das Stangenmotiv der Lampen in veränderter Form wieder aufnimmt. Erneut taucht es im Gemälde "Ohne Titel (Dr. Billig)" auf und ist sogar in den "Pommes Frites"-Bildern wieder zu erkennen.

Bild und Schrift sind ein zentrales Thema in Dieter Kriegs Werk. Den gewichtigen Satz "Hosn kaufn bis zum Tod", die der Künstler in groben Buchstaben über fünf großformatige Gemälde mit Fischgrätmuster pinselt, mutet ebenso lapidar wie abgründig an. Ein weiterer Ausstellungsraum ist Kriegs frühen, konzeptuellen Arbeiten gewidmet. In Archivform werden hier die kleinformatigeren Schallplatten- und Tännchen-Serien sowie eine Tonbandaufnahme präsentiert, auf der das Wort "ähnlich" von verschiedenen Personen vorgetragen wird. Hier finden sich auch Kriegs Typoskripte – akribisch getippte Schreibmaschinentexte, die sich zwischen Lyrik und Tagebuchaufzeichnungen bewegen und in denen Krieg immer wieder auch seine Kunst reflektiert.

Die surreale Fragmentierung des menschlichen Körpers in den Gemälden "Händchen mit Tasse" und "Figur H." aus dem Stuttgarter Sammlungsbestand, beide von 1966, ist typisch für das Frühwerk des Malers. Sie werden zusammen mit Kriegs "Malsch Wannen" aus dem Jahr 1970 gezeigt. Die reduzierten, grauen Gemälde markieren Kriegs erste umfassende Beschäftigung mit dem Thema der Serie: in die Vertikale gekippte, Format füllende Badewannen, die durch ihre illusionistische Malweise beständig zwischen Flächigkeit und Tiefenraum wechseln. Satt und dynamisch wirkt Kriegs Malerei aus den 1980er Jahren. Bedrohlich blicken die "Köpfe" mit ihren überdimensionierten Nasen und Ohren aus dem Bild – sie erinnern an Fleisch gewordene Masken der Commedia dell’arte. Auch die Gemälde "Pommes Frites" (1980) und "Ohne Titel" (1982), ein "Stillleben" mit Kotelett und Blütenzweig, wirken so überraschend wie anziehend. Mit großer malerischer Geste überhöht Krieg die Dingwelt und gibt sie zugleich einer doppelbödigen Lächerlichkeit preis.

Literatur war eine wichtige Anregung für Dieter Krieg. Immer wieder finden sich in seinen Werken Zitate von Marcel Proust, James Joyce, Jean-Paul Sartre oder Arno Schmidt – allerdings niemals so, dass sich ein gewichtiger Bildungsinhalt ableiten ließe. Im obersten Stockwerk des Kubus gesellt sich zu diesen Gemälden von Büchern Heideggers, Groddecks oder Becketts das fünf Meter breite Monumentalgemälde "Lügen über Bilder". Das Bild verrät Kriegs Herkunft aus der konzeptuellen Malerei und vermag dennoch über die eigene Größe die so bedeutungsschwanger daherkommende Botschaft nicht ins Recht zu setzen. Die Malerei gewinnt letztlich doch. Diese großformatigen Gemälde werden ergänzt durch Kriegs Fotoübermalungen, die skulpturale Plüsch-Bärengruppe, die Krieg 1979 zusammen mit Studenten entwarf, sowie die Audioarbeit "Allen Malern herzlichen Dank" – eine annähernd 150-stündige Lesung aller im Thieme-Becker-Lexikon angeführten Künstlernamen.

Dieter Kriegs Malerei ist die intensive Auseinandersetzung mit dem Leben anzusehen. Seine Bilder sind ungestüme Malschlachten für die Behauptung von Existenz, von Sein, gegen die drohende Nicht-Existenz und den Tod. Und diese Schlacht führt der Künstler genauso in den Niederungen des Lebens wie auf den intellektuellen Höhen, weil es um Alles oder Nichts geht.


Dieter Krieg. Fritten und Brillanten
26. April bis 17. August 2008