Freedom of Speech

Die Ausstellung "Freedom of Speech" hinterfragt und analysiert das Konzept der Redefreiheit und ihre ideologische Rolle, die sie in der westlichen Demokratie spielt. Alles dreht sich um die zentrale Frage: Was, wenn nur der sprechen dürfte, der die Wahrheit sagt? Welche Konsequenzen hat das Recht auf Redefreiheit in unserer Gesellschaft? Wie und wo wird diese Freiheit instrumentalisiert? Berechtigte Fragen, die auch im Zusammenhang mit der Debatte um Thilo Sarrazins Buchveröffentlichung und seinen rassistischen Äußerungen in den Medien angebracht gewesen wären.

Deutlich wurde dieser Konflikt aber auch am Beispiel des Karikaturenstreits im Jahr 2005, als eine rechte dänische Tageszeitung die sogenannten "Mohammed-Karikaturen" veröffentlichte. An dem anschließenden Streit und der iranischen Gegenreaktion eines "Holocaust-Karikaturen-Wettbewerbs" entzündete sich eine öffentliche Diskussion über Freiheitsrechte – Rede-, Meinungs- und Pressefreiheit – sowie Wahrheit. Der versuchte Mordanschlag am Zeichner der Mohammed Karikaturen, Kurt Westergaard, Anfang 2010 sowie dessen Auszeichnung mit dem M100-Sanssouci Medien Preis im Sommer diesen Jahres, verdeutlicht die Brisanz und Aktualität des Themas. Ist es zulässig, Karikaturen zu veröffentlichen, die wissentlich nicht der Wahrheit entsprechen? Die also, wie in diesem konkreten Beispiel, rassistische Stereotype reproduzieren und verfestigen, die auf einer rein westlichen Vorstellung basieren und (absichtlich) nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden können?

Die Ausstellung stellt Beispiele der Medienberichterstattung (z.B. die oben genannten "Mohammed-Karikaturen" oder die kontrovers diskutieren Cover des Magazins Hustler sowie Titelblätter der Magazine Stern oder Spiegel), historische Ereignisse (z.B. das Black Power Movement und das Free Speech Movement in den USA) sowie künstlerische Positionen in Kontext mit- und zueinander. Gemeinsam mit dem Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) werden die Arbeiten mittels der Kritischen Diskursanalyse auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht. Diese vom DISS in Anlehnung an Theorien und Schriften Michel Foucaults entwickelte Analyseform wird wie eine Folie auf die sprachliche und bildliche Ebene der versammelten Medienberichte und künstlerischen Arbeiten gelegt.

Dass auch Kunstwerke zum Gegenstand der Analyse werden, ist in dieser Form einmalig, trägt aber der Tatsache Rechnung, dass sie ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Konstituierung von Alltagswissen spielen und deshalb gleichberechtigt betrachtet werden müssen. Im Sinne Foucaults "offenbart die moderne Kunst auf skandalöse Weise die Wahrheit", denn "Kunst besitzt die Fähigkeit, der Existenz eine Form zu geben, die mit jeder anderen bricht, die Form des wahren Lebens". Die Analysen werden in der Ausstellung als Kurztexte in direkter Nachbarschaft sowohl zu den historischen Fotografien, den Medienbeispielen als auch den künstlerischen Arbeiten präsentiert. Neben der visuell ästhetischen Ebene erschließen sich den BesucherInnen dadurch auch die speziellen Wissensdiskurse und Referenzsysteme, auf die sich die Kunstwerke beziehen. Ein in Anlehnung an die Herangehensweise des DISS entwickelter Fragebogen, ermöglicht darüber hinaus das Nachvollziehen der einzelnen Analyseschritte und stellt dem Publikum ein Instrument zur eigenen Auseinandersetzung und Befragung zur Verfügung.

Neben Arbeiten, die das universelle Recht auf Meinungsfreiheit thematisieren (z.B. die Arbeiten "Prohibited Imports" von Maria Eichhorn oder "Wollt ihr das totale Bild" von Klaus Staeck), versammelt die Ausstellung auch Werke, die von ihren Inhalten oder Formen die Grenzen und Möglichkeiten von Meinungs- und Redefreiheit ausloten (z.B. die Arbeit "Turkish Delight" von Olaf Metzel oder "bürgersteig" von Silke Wagner). Im Rahmen der Ausstellung wird die Arbeit "State Britain" des Turner-Preisträgers Mark Wallinger erstmalig in Deutschland zu sehen sein. Die ca. 40 m lange Installation aus Demonstrationsbannern, Postern oder Fahnen des Anti-Kriegs-Aktivisten Brian Haw erstreckt sich über die gesamte Fläche des Ausstellungsraumes im ersten Obergeschoss des Kunstverein Hamburg. Als zentrales gestalterisches Element der Ausstellungsarchitektur fungieren Bauzäune, die den Raum strukturieren, als Präsentationsfläche dienen und darüber hinaus auch eine inhaltliche Funktion einnehmen: Im öffentlichen Raum werden Bauzäune in der Regel eingesetzt, um Menschen z.B. bei Demonstrationen ein- oder auszugrenzen. Aber sie dienen auch als Markierung für sog. "Free Speech Zones", in denen Menschen ihren Rechten nach freier Rede und Meinungsäußerung nachkommen können.

"Freedom of Speech" beendet im Kunstverein Hamburg eine Trilogie, die im Dezember 2009 mit der Ausstellung "Wo ist der Wind, wenn er nicht weht? – Politische Bildergeschichten von Albrecht Dürer bis Art Spiegelman" begonnen, und mit der Ausstellung "Uns Hamburg" im März 2010 fortgesetzt wurde. Die drei, in ihrer thematischen als auch formalen Herangehensweise, sehr unterschiedlichen Ausstellungen, untersuch(t)en die kulturelle Bedeutung von Bildern, ihre Wahrnehmung und politische Funktion in gesellschaftlichen Diskursen.

KünstlerInnen: Emory Douglas, Lex Drewinski, Maria Eichhorn, Bob Fitch, Abbie Hoffman, Daniel Josefsohn, Sister Corita Kent, George Maciunas, Ian MacKaye, Steven Marcus, Olaf Metzel, Marc Morrel, Bruce Nauman, Dan Perjovschi, Norman Rockwell, Gerald Scarfe, Christoph Schlingensief, Taller Popular de Serigrafia, Klaus Staeck, Act Up, Silke Wagner, Mark Wallinger

Begleitend zur Ausstellung erscheint im Januar 2011 ein Reader im Verlag der Buchhandlung Walther König, der sowohl die (ungekürzten) Analysen des DISS, einen utopischen Text zum Thema "Wahrheit", einen Beitrag von Tom Kummer als auch ein umfangreiches Glossar beinhaltet. Außerdem wurde für die Ausstellung eine Application für Smartphones entwickelt, die als mobiler Audio-Guide funktioniert und neben Interviews mit KünstlerInnen, Kuratoren oder AutorInnen auch weiterführende Hintergrundinformationen zu bestimmten Fragestellungen der Ausstellung versammelt. In kurzen Audio- oder Tonbeiträgen werden einzelne künstlerische Arbeiten oder historische Ereignisse prägnant vorgestellt. Die kostenfreie App kann ab 10. Dezember 2010 unter www.kunstverein.de oder www.nbk.org heruntergeladen werden. In den Institutionen stehen Leihgeräte für die BesucherInnen zur Verfügung, auf denen das App installiert ist.

Freedom of Speech
18. Dezember 2010 bis 27. März 2011