Frank Stella - Abstract Narration

Von Frank Stellas Werken geht eine große Faszination aus, sie sind spürbar durchdrungen von einer großen Leidenschaft und sprechen die Sinne des Betrachters auf fulminante Weise an. Diese dem Publikum präsentieren zu dürfen, ist daher schon eine Freude an sich. Einen Künstler, der in den großen Ausstellungshäusern der Welt vertreten ist, im Rahmen einer kleineren Schau zu würdigen, birgt darüber hinaus eine besondere Chance.

Die Vorgabe, aus einem riesigen Oeuvre eine kleine Auswahl treffen zu müssen, verlangt geradezu zwangsläufig ein klar umrissenes Konzept. Dabei sollte der Kern der Motivation des Künstlers stets im Blick sein. Dieser liegt bei Frank Stella in dem unermüdlichen Unterfangen, die abstrakte Spielart der Kunst zu neuen Ausdrucksmöglichkeiten zu führen. Wie dies unter Hinzuziehung von außerbildnerischen Quellen, insbesondere dem "Narrativen" geschah, beleuchtet das Projekt "Frank Sella – Abstract Narration".

Frank Stella gehört zu den herausragenden Protagonisten der abstrakten Kunst, die im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts mit Vertretern wie Wassily Kandinsky, Kasimir Malewitsch oder El Lissitzky ihren Ausgang nahm. Nach etwa einem halben Jahrhundert ihrer Geschichte stieg Stella an vorderster Front in die Abstraktion ein und hört nun seit 60 Jahren nicht damit auf, diese entscheidend mitzubestimmen. Nach dem zweiten Weltkrieg, also in der Zeit als er heranwuchs, dominierte in Amerika der Abstrakte Expressionismus, dem es etwas entgegenzusetzen galt. 1958, im Alter von 23 Jahren, war Stella in der wegweisenden Ausstellung des Museum of Modern Art mit dem Titel "16 Americans" vertreten. So sah er sich seit Beginn seiner fulminanten Karriere in der Verantwortung, das Erbe der Abstraktion weiter zu tragen, es aus Sackgassen herauszuführen und mit neuem Leben zu erfüllen.

Mit diesem Impetus ist es ihm im Laufe der Zeit immer wieder gelungen, die abstrakte Kunst auf bahnbrechende Weise neu zu definieren. Welche Rolle dabei sowohl die Graphik als Medium als auch die Literatur als inspirierende Quelle spielten, wird anhand der Exponate in Tuttlingen deutlich. Einen markanten Aufbruch zu Neuem markiert in Stellas Werkentwicklung die 12 Graphiken umfassende Serie "Illustrations After El Lissitzky´s Had Gadya" (1982-84), die in ihrer Vollständigkeit den Kern der Schau bildet. Die Formen der Bildelemente geben in der Art, wie sie vor-, unter- und übereinander in Beziehung gesetzt sind und sogar über den Bildrand heraustreten, die Anmutung einer erzählerischen Handlung. Drei weitere Graphikserien, die nach literarischen Werken betitelt sind, sind anhand von Beispielen vertreten, die zeigen, wie Stella die neuen Impulse weiterführte: die "Italian Folktales" (1988-1989), die "Moby Dick Prints" (1989-1993) und die Serie "Imaginary Places" (1994-1999).

Wie die in dieser Ausstellung versammelte Graphik beispielhaft zeigt, hat Frank Stella sein Formen- und Ausdrucksrepertoire anhand der narrativen Struktur der Literatur auf beeindruckende Weise erweitert. Hierfür hat er sich einen syntaktischen Fundus angelegt, der Raster- und Linienstrukturen, Kurven- und Wellenformen, Vorgefundenes und Kreiertes, dreidimensionale Elemente und solche, die Räumlichkeit vortäuschen, umfasst. Wiederkehrende Formelemente werden wie verschlungene Geschichten zu polyphonen Kompositionen zusammengefügt, die den Charakter und das Kolorit einer Erzählung wiedergeben.

Ebenso wie bei der Nacherzählung von Mythen einzelne Elemente Transformationsprozessen unterworfen sind, nimmt auch Stella innerhalb einer Serie von Werk zu Werk Abwandlungen, Deformationen, Neukombinationen und Substitutionen vor. Dass es sich hierbei um eine zentrale Achse und das Experimentierfeld seines Schaffens handelt, zeigt dieser Rückblick auf die Graphik in den beiden letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts. Er vertieft zugleich das Verständnis für Stellas Arbeit als Gesamtes und bis in die Jetztzeit, in der er sich aufgrund neuer technischer Möglichkeiten nun mit der dreidimensionalen Graphik befasst.

Frank Stella (geb. 1936 in Malden, Massachusetts) studierte Kunstgeschichte und Malerei an der Phillips Academy in Andover, Massachusetts, und schloss später an der Universität von Princeton mit einem Bachelor of Arts in Geschichte ab. Frank Stella ist der einzige lebende Künstler, der mit zwei Ausstellungen im Museum of Modern Art New York geehrt wurde, und seine Werke befinden sich in den Sammlungen prominenter Museen der ganzen Welt. Frank Stella lebt und arbeitet in New York City.


Frank Stella - Abstract Narration
6. Oktober bis 25. November 2018