Das Kunstmuseum Winterthur zeigt 14 künstlerische Positionen, die sich mit visuellen Phänomenen auseinandersetzen, die online als Vehikel für Kommunikation, Kritik oder Komik dienen. Sie zeigen, wie wichtig Bilder für die Gestaltung unserer sozialen, kulturellen und politischen Umgebung sind.
Die Ausstellung lädt dazu ein, die visuellen Welten von Social-Media-Feeds, Dating-App-Profilen, Beauty-Filtern, Memes, ASMR-Videos, cute (niedlichen) oder cursed (verfluchten) Images, Emoji, computergenerierten Bildern oder pixeligen Screenshots zu erkunden. Diese können als Verschwörungstheorien oder als Protestmittel gleichermaßen zum Einsatz kommen. Dabei legen die künstlerischen Arbeiten die komplexen Mechanismen der Verführung im digitalen Raum offen und beleuchten, wie Bilder und die ihnen zugrunde liegenden Strukturen – von Algorithmen bis zu Datensätzen – unsere Aufmerksamkeit lenken, Gefühle provozieren und Meinungen beeinflussen. Vernetzte Bilder erweisen sich als prägende Elemente einer aufmerksamkeitsgesteuerten Ökonomie, die unsere Affekte und Begehren entfachen und uns dabei nicht selten auf Um- oder Abwege führen.
Mit ihrer Arbeit „#Ingrid” (2022) setzt sich Zoé Aubry (*1993) beispielsweise mit systemischer Gewalt gegen Frauen auseinander. Der Titel des Werks spielt auf Ingrid Escamilla Vargas an, eine junge mexikanische Frau, die 2020 von ihrem Ehemann brutal ermordet wurde. Als korrupte Behörden Fotos des verstümmelten Körpers des Opfers an die örtliche Presse weitergaben, die diese dann auf ihren Titelseiten veröffentlichte, gingen Aktivist:innen auf die Straße, um gegen diese voyeuristische und sensationsheischende Berichterstattung zu protestieren. Die Welle der Solidarität setzte sich in den sozialen Medien fort, unter anderem mit der Hashtag-Initiative #IngridEscamillaVargas. Diese machte es sich zum Ziel, die illegal an die Öffentlichkeit gespielten Fotos im Internet zu überschreiben. Der Hashtag verknüpfte Online-Suchen nach Ingrid mit schönen Bildern, die an sie erinnern sollten – anstelle der entwürdigenden Opferfotografien. Wie eine Archivarin hat Aubry diesen flüchtigen Moment des Online-Widerstands – Bilder unberührter Landschaften und lavendelfarbener Sonnenuntergänge – gesammelt und konserviert. Eine herzzerreißende Hommage, die zugleich als kraftvoller, kollektiv geäußerter Weckruf dient, dem Thema Femizid in der Gesellschaft endlich größere Beachtung zu schenken.
Die Künstlerin Dina Kelberman (*1979) widmet sich mit dem Werk „The Wave” (2025) dem Phänomen der ASMR-Videos. ASMR (Autonomous Sensory Meridian Response) lässt sich am besten als ein kribbelndes, entspannendes Gefühl beschreiben, das durch dezente Geräusche, sanfte Berührungen oder beruhigende Bilder ausgelöst wird. Für ihre Arbeit sammelte Kelberman Tausende Videos von Schwämmen, in denen Hände mit Gummihandschuhen seifige Schwämme zusammendrücken, aufschäumen und auseinanderzupfen. Kelbermans immersive Videoinstallation ordnet die Videos von „beruhigend” bis „grob” an und projiziert sie stark vergrößert auf einander gegenüberliegende Wände. Das Ergebnis ist eine Kakophonie aus Klängen und Bildern. Mit dieser Präsentation legt die Künstlerin die komplexen Spannungen offen, die unter der Oberfläche dieses audiovisuellen Phänomens schlummern. Es fesselt unsere Sinne durch seine ästhetischen Reize, seine Klanglandschaften und seine hypnotischen Wiederholungen.
Die Arbeit „#dominicanwomengooglesearch” (2016) der Künstlerin Joiri Minaya (*1990) zeigt ausgeschnittene Bildfragmente von weiblichen Körperteilen, die auf der einen Seite mit stilisierten tropischen Stoffen collagiert sind. Die Bilder stammen aus einer Google-Suche nach „dominikanischen Frauen” und zeigen klischeehafte Abbildungen, die durch die Algorithmen von Online-Suchmaschinen fortgeschrieben und verstärkt werden. Durch die Wiederaneignung „tropischer” Muster macht Minaya deutlich, wie solche Motive auf westliche Kolonialfantasien zugeschnitten werden, die karibische Frauen exotisieren und objektifizieren. Die Künstlerin legt sich mit dem kolonialen Erbe an, das in unseren Blicken und unseren technischen Systemen weiterlebt und bis heute den schwarzen weiblichen Körper stigmatisiert.
Die Künstlerin Jenny Rova (*1972) macht ihre persönlichen Erfahrungen, die sie beim Online-Dating sammelte, zum Thema ihrer Arbeit „A Milf Dream – My Matches on Tinder” (2024). Nachdem sie sich bei Tinder angemeldet hatte, merkte sie, dass ihr Status innerhalb der Online-Dating-Community der einer „MILF” war – ein vulgärer Slangausdruck, der ältere Frauen bezeichnet, die von jüngeren Männern begehrt werden. Sie fertigte Collagen mit fotografischen Elementen aus den Profilen ihrer Tinder-Matches an und lotet damit die Schnittstellen von Intimität, Selbstdarstellung und dem fotografischen Blick aus. Die neu entstandenen Bilder verraten auf meist humorvolle Weise die Spannung zwischen den persönlichen Vorlieben der Künstlerin und den zunehmend standardisierten Formen, die beim Kuratieren der eigenen Selbstinszenierung zum Einsatz kommen.
Mit der Arbeit „Annihilation Core Inherited Lore ٩)͡๏̯͡๏)۶” (2023–) untersucht Noura Tafeche (*1987), wie eine Ästhetik der Niedlichkeit online als Waffe eingesetzt wird, um militärische Propaganda und Gewalt zu verbreiten. Ausgehend von einem Archiv mit über 30 000 Dateien zeigt sie, wie pastellfarbene Plüschtiere, Manga-Fan-Art und Rehaugen dazu genutzt werden können, kriegerische Botschaften, sexualisierte Gewalt, die Fetischisierung von Waffen und Alt-Right-Ideologien zu verbreiten. Tafeche setzt sich mit Ästhetiken aus den verschiedensten Bereichen auseinander: von „Kawaii” (einem kulturellen Phänomen aus Japan, das Niedlichkeit und Unschuld in den Vordergrund stellt) über Gaming und TikTok bis hin zu Fan-Art. Dabei macht sie sichtbar, wie virale Inhalte – etwa Memes oder Online-Tanz-Challenges – Frauenfeindlichkeit, Überlegenheitsdiskurse und Rassismus befördern können.
Zu sehen sind Arbeiten von Zoé Aubry, Sara Bezovšek, Viktoria Binschtok, Sara Cwynar, Éamonn Freel x Lynski, Dina Kelberman, Michael Mandiberg, Joiri Minaya, Simone C Niquille, Jon Rafman, Jenny Rova, Hito Steyerl, Noura Tafeche und Ellie Wyatt.
The Lure of the Image
Wie Bilder im Netz verlocken
17. Mai bis 12. Oktober 2025