Formsprache und Poesie vereinen

28. November 2021
Bildteil

Die in Japan geborene Leiko Ikemura, die spanische Literatur in Osaka und Salamanca studiert hatte, bevor sie mit ihrem Studium der Malerei in Sevilla begann, sagt über ihre Bronzeskulptur Usagi Kannon (2012/14), die sich in der Sammlung des Kunstmuseums Liechtenstein befindet: "In dieser Figur wollte ich Formsprache und Poesie vereinen."

Das Malerische ist bei Ikemura grundsätzlich auch in ihrem plastischen Werk spürbar: Mit grosser Umsicht sucht sie nach der richtigen Patina für ihre Plastiken. Die unterschiedlichen Lebenswelten Asiens und Europas prägen ihr gesamtes künstlerisches Schaffen.

Diese Synthese der Kulturen veranschaulicht auch "Usagi Kannon" als Hybrid zwischen Mensch und Tier. Der Werktitel vereint das japanische Wort für Hase (Usagi) mit dem Namen eines bekannten Bodhisattva-Wesens im Buddhismus (Kannon). Bodhisattvas sind Mittlergestalten, die allen fühlenden Wesen zur Erleuchtung verhelfen wollen. Die Armhaltung der Skulptur erinnert hingegen an die christliche Ikonografie. Vor diesem Hintergrund eröffnet die Arbeit unterschiedlichste Interpretationsmöglichkeiten, die ganz im Sinne Leiko Ikemuras sind.

Der buddhistischen Vorstellung von Körper und Hülle folgend, ist auch bei Usagi Kannon formal der Körper als Hülle begriffen. Wie ein Schutzmantel bietet die spitz zulaufende Öffnung Einlass. In einer strengen Vertikalen wird der Blick des Betrachters vom offenen, fein durchlöcherten mantelartigen Unterkörper zum kompakteren Oberkörper hingelenkt. Das Gesicht wirkt ernst und traurig. Die Arme sind fest an die Brust gedrückt.

Usagi Kannon bedeutet Schutzgöttin. Die mit 340 cm Höhe überlebensgrosse Skulptur bietet einen Raum für Geborgenheit und Schutz. Leiko Ikemura schuf diese Form in Reaktion auf die Tsunami-Katastrophe 2011 in Fukushima. Die verheerenden Folgen für die Natur, die Tierwelt, die Menschen bekommen so ein Denkmal, einen Ort für Verständnis und Trauer.