Forever Young

Im Oktober 2013 feiert das Gebäude der heutigen Kunsthalle Nürnberg seinen 100. Geburtstag. Dieses Jubiläum ist Anlass für die internationale Gruppenausstellung "Forever Young. Über den Mythos der Jugend", in der zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler psychologisch vielschichtige Darstellungen der Kindheit und Jugend zeigen. Ihre Werke belegen, wie unterschiedlich die Wahrnehmung dieser ersten Lebensphase sein kann und wie individuell auch die Gefühle und Erinnerungen sind, die sich mit diesen Jahren verbinden.

Dabei ist das Motto "Forever Young" stets doppeldeutig zu lesen: Es steht sowohl für eine abwechslungsreiche Ausstellung über den Mythos der Jugend als auch für 100 Jahre zeitgenössische Kunst in Nürnberg. Denn was die 1913 eröffnete Kunst-Ausstellungs-Halle mit der heutigen Kunsthalle Nürnberg verbindet, ist die klare Ausrichtung auf das jeweils Zeitgenössische, auf immer neue Werke und aktuelle Tendenzen.

Kindheit und Jugend stellen sich im Rückblick meist als glückliche und unbeschwerte Zeit dar: Noch erscheint alles möglich, Biografien sind nicht geschrieben, Dummheiten bleiben ohne große Konsequenzen und die Verantwortung tragen andere. Doch unweigerlich macht diese idealisierende Sicht aus der Jugend einen Mythos, dem stets rückwärtsgewandten Blick des Erwachsenen geschuldet, der auf diese Jahre fällt. Ein objektiver Blick auf diese Lebensphase erscheint unmöglich: Kindheit und Jugend sind unweigerlich ein Erinnerungskonstrukt und Projektionsfläche für individuelle Erfahrungen, Wünsche und Utopien.

Ein künstlerisches Interesse an Kindheit und Jugend ist keineswegs neu, sondern durchzieht die Kunstgeschichte wie ein roter Faden: propere Putti, liebliche Amorknaben, der schöne Narziss, mittelalterliche Darstellungen des Jesuskindes, niederländische Genremalerei und die Kinderbildnisse seit der Zeit des Klassizismus. Stets spiegeln diese Darstellungen – wie vielleicht wenig andere Bildmotive – auch gesellschaftliche Realitäten und Ideale wider. Dieses zeigt sich auch überdeutlich in der Malerei der klassischen Moderne. Nachdem Literaten, Anthropologen, Mediziner und Pädagogen zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Frage stellten, was Kindheit und Jugend auszeichnet, wird diese Thematik vermehrt in der Kunst aufgegriffen.

Emil Nolde, Alexej Jawlensky, Wassily Kandinsky oder August Macke beschäftigen sich intensiv mit der Psychologie von Kinderzeichnungen; sie greifen eigene frühe Zeichnungen motivisch wieder auf und entwickeln diese weiter. Paul Klee räumt seinen Kinderzeichnungen einen hohen Stellenwert ein und nimmt sie neben den aktuellen Arbeiten gleichberechtigt in seinem akribisch geführten Werkkatalog auf. Paula Modersohn-Becker malt psychologisch fragile Porträts benachbarter Waisenkinder, und Pablo Picasso formuliert sein viel zitiertes Credo, er habe mit acht Jahren wie Raffael gemalt, aber habe sein Leben lang gebraucht, um so zu malen wie ein Kind: Der Topos von der Urverwandtschaft zwischen Kind und Künstler ist geboren. Das Kind wird zu einem in Kreativität, Spontanität und Unbefangenheit überhöhten Wesen stilisiert, welches seinen Gegenpart im ernsthaften, zielorientierten und voreingenommenen Denken der Erwachsenen findet.

An diesen Topos scheint die Gegenwartskunst jedoch nicht mehr glauben zu können. Die Kindheit und Jugend als emanzipativ-kulturelles Leitmotiv und als paradiesischer Zustand der Unschuld und Ursprünglichkeit erscheint heute als reine Fiktion. Ebenso will niemand mehr an die Jugend als Hoffnungsträger einer besseren Zukunft glauben. So zeigt zwar auch die zeitgenössische Kunst kindliche Welten und thematisiert die Jugend als Sujet. Jedoch erzählen aktuelle Werke nicht nur von der unbeschwerten Verspieltheit der Kindheit, sondern auch von Angst, Machtlosigkeit und Entmündigung, von Einsamkeit, Orientierungslosigkeit und Isolation. Fragen jugendlicher Identitätssuche werden ebenso visualisiert wie gegenwärtige Körper- und Geschlechterinszenierungen. "Forever Young" thematisiert auch die charakteristischen Handlungsorte: das Jugendzimmer, den Spielplatz und das Klassenzimmer. Und dann lassen sich vielfach die (kollektiven) Helden der Jugend blicken, die in der Gegenwartskunst sehr präsent erscheinen: Eine Zeichnungsserie von Juan Pérez Agirregoikoa zeigt die Superhelden Batman und Superman in einem selbstironischen, unterschwellig homoerotischen "Ballett" und Claus Richter entwickelt einen Raum für Peter Pan: eine Hommage an den Jungen, der als einziges Kind niemals erwachsen werden wird.

Die internationale Gruppenausstellung "Forever Young" zeigt einen konzentrierten Blick auf den Mythos der Jugend, der gerade heute hochaktuell wie spannungsvoll erscheint. Schließlich leben wir in einer Gesellschaft, in der die Bewahrung der Jugend als hohes Ziel propagiert wird und das Alter vielfach als Makel erscheint. Zwar war auch bereits für Oscar Wildes Dorian Gray ein altersloses Leben ohne Verantwortung erstrebenswert, jedoch erscheint dieser Wunsch heute omnipräsent, und Kosmetikindustrie, Fitnessstudios wie Schönheitschirurgie versprechen konkrete Möglichkeiten anhaltender Jugend und Aktivität. Hinzu kommen psychologische Komponenten und die Beobachtung, dass sich eine ganze Generation dem Erwachsenwerden zu verweigern scheint. Eine Vielzahl von Büchern beschäftigt sich aktuell mit dieser Generation der "Thirty-Somethings", die nur ungern Verantwortung übernimmt oder sich verbindlich festlegt. Und was ist Facebook anderes, als ein virtueller Spielplatz für Erwachsene, auf dem man 24 Stunden am Tag seine Freunde treffen kann?

Doch was ist so faszinierend an der Jugend? Was macht es so erstrebenswert, in der Illusion ewiger Jugend zu leben? Warum versucht eine Gesellschaft – körperlich wie mental – jung zu bleiben? Ist dieser Mythos nur durch den verklärenden Blick in die eigene Vergangenheit zu erklären? Die in der Ausstellung "Forever Young" präsentierten, multimedialen Werke – neben Fotografien, Zeichnungen und Malerei auch Videoarbeiten, Skulpturen und Installationen – beschäftigen sich mit diesen und anderen Fragen rund um den Mythos der Jugend.

KünstlerInnen: Martin Brand, Marc Brandenburg, Wolfgang Burat, Rineke Dijkstra, Elmgreen & Dragset, Hans-Peter Feldmann, Tamara Grcic, Andy Hope 1930,Teresa Hubbard / Alexander Birchler, Ulrike Möschel, Sofie Muller, Juan Pérez Agirregoikoa, Corinna Schnitt, Tobias Rehberger, Claus Richter, Andreas Slominski und Philip Topolovac

Forever Young
Über den Mythos der Jugend
31. Oktober 2013 bis 19. Januar 2014