Figura cuncta videntis

Mit der Ausstellung "Figura cuncta videntis" zeigt Thyssen-Bornemisza Art Contemporary ab 16. November 2010 elf performative Arbeiten internationaler Künstler und Künstlerinnen in den Ausstellungsräumen in der Himmelpfortgasse. Die Ausstellung verhandelt die Grenzen zwischen Kunst, Performance, Theater und Film, zwischen Artefakt und Ausstellungsraum. Im Mittelpunkt steht die Arbeit "Der Animatograph (Iceland Edition)" von Christoph Schlingensief.

Seit 2004 hat Thyssen-Bornemisza Art Contemporary Performances und Performancebasierte Arbeiten in Auftrag gegeben, in unterschiedlichen Kontexten und, systematischer, zwischen 2005 und 2007 in der Reihe Relation in Movement, die im Magazin der Staatsoper Unter den Linden in Berlin präsentiert wurde. Die Ausstellung "Figura cuncta videntis" zeigt eine Auswahl an elf performativen Installationen und Dokumentationen vergangener Projekte und Video-basierte Arbeiten, die sich einer Ästhetik des Performativen verschrieben haben, sowie einige neu kommissionierte oder wieder erschaffene Werke. Die Schau unterstreicht die prozesshafte, ephemere und dynamische Beschaffenheit ästhetischer Produktionen mit performativem Charakter, ebenso wie deren transformative Qualität, die im Verlauf einer raschen Wandlung von der Artikulation zur Deartikulation zutage tritt.

Als Live-Events sind Performances zeitlich begrenzt und vergänglich; vielfach entziehen sie sich der Transformation in autonome Kunstwerke. Sie existieren zwischen den ästhetischen Sphären von Kunst, Theater, Tanz und Film; Performer und Publikum; Fremd- und Selbstbetrachtung; innen und außen; realem und imaginärem Raum und definieren Kunst als temporäre Intervention innerhalb eines spezifischen räumlichen Zusammenhangs. Was bleibt, im Sinne eines Artefakts, ist dokumentarischer Natur (Zeichnungen, schriftliche Notizen, Aufnahmen, Relikte, Filme), hat räumlichen Charakter (Umgebungen, skulpturale Assemblagen) oder es sind Objekte, die unmittelbar aus der Aktion heraus entstanden sind.

Die zentrale Arbeit der Ausstellung ist "Der Animatograph (Iceland Edition)" von Christoph Schlingensief, entstanden 2005. Der deutsche Filmemacher, Künstler und Theaterregisseur starb im August 2010. Der Animatograph ist eine vielschichtige Installation, die den Blick als allsehendes Auge refiguriert und somit sowohl eine Metapher für die universale Ur-Narration als auch einen Apparat durch deren Navigation bereitstellt. Die Arbeit, die erstmals im Ausstellungsraum KlinK og BanK in Reykjavik, Island gezeigt wurde, ist der bedeutendste Korpus an Arbeiten Schlingensiefs; hier wird sie nun, als Hommage an den Künstler, zum ersten Mal in Österreich installiert. Der Titel der Ausstellung, "Figura cuncta videntis", wurde Schlingensiefs umfassendem Repertoire an Aneignungen und Umdeutungen von Begriffen entlehnt: "Also wir sehen uns an und können den Blick nicht verlieren. Wir werden aber auch beobachtet. Also wer sieht eigentlich wen an, wenn wir vor dieser Ikone figura cuncta videntis stehen. Gleichzeitig? Die Ikone starrt uns beide an, obwohl wir dachten, nur wir könnten ihrem Blick nicht mehr entweichen. Der Raum überprüft uns und nicht wir den Raum." (CS)

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog in englischer Sprache mit Texten u.a. von Gudrun Ankele, Aeneas Bastian, Diedrich Diederichsen, Alexander Kluge, Susanne Pfeffer, Mirjam Schaub, Andreas Schlaegel, Christoph Schlingensief, AL Steiner, Markús Thór Andrésson, Raluca Voinea, Slavoj Žižek, Daniela Zyman. 194 Seiten, Verlag der Buchhandlung Walther König, ISBN 978-3-86560-938-0, Preis EUR 19,80. Erhältlich bei T-B A21 und im Buchhandel.

Figura cuncta videntis (das allsehende Auge)
Hommage an Christoph Schlingensief
17. November 2010 bis 16. April 2011