Fifty Fifty

1959 wurde am Karlsplatz ein Schlüsselbau der Wiener Nachkriegsmoderne eröffnet, das von Oswald Haerdtl geplante Historische Museum der Stadt Wien (heute: Wien Museum Karlsplatz). Der Haerdtl-Bau blieb bis in die 1990er-Jahre der einzige österreichische Museumsneubau. Haerdtl, ein langjähriger Partner von Josef Hoffmann, gilt als einer der bedeutendsten Architekten und Designer der Nachkriegszeit. Die Innengestaltung des Museums ist von hoher Qualität, der nüchterne Bau selbst aber blieb umstritten. Er steht beispielhaft für jene moderate Moderne, die typisch war für die Zeit des Wiederaufbaus: Verlässlichkeit statt Risiko, Anpassung statt Radikalität. Das Kulturklima war repressiv, politischer Konsens höchstes Gebot.

Das 50-jährige Jubiläum ist Anlass für die Ausstellung "Fifty Fifty. Kunst im Dialog mit den 50er-Jahren", in der Arbeiten von 23 Künstlerinnen und Künstlern zu sehen sind, darunter zehn ortsspezifische und speziell für die Ausstellung entwickelte Werke. Nach der viel beachteten Ausstellung "Wiener Linien. Kunst und Stadtbeobachtung seit 1960" (2004), findet im Wien Museum, einem kulturgeschichtlichen Museum mit breit gefächerter Ausrichtung von Klimt bis Alltagskultur, nun wieder eine große Schau mit zeitgenössischer Kunst statt. Die künstlerischen Beiträge korrespondieren auf unterschiedliche Weise mit den 50er-Jahren: Manche beziehen sich auf die Architektur, gestalterische Details und die rigide Atmosphäre des Museumsbaus, andere generell auf das ästhetisch-politische Klima der Nachkriegszeit – auch in anderen Ländern.

Bei "Fifty Fifty" handelt es sich um eine "Hausbesetzung" bei laufendem Museumsbetrieb: Die Werke ergeben einen Parcours durch die drei Geschoße des Gebäudes: Dach und Außenbereich sind ebenso Spielorte wie Foyer und Atrium, das Stiegenhaus (ein Highlight der Wiener Nachkriegsmoderne) oder die ehemalige Direktion. Ein Museumsbau, der nach 50 Jahren den räumlichen und funktionalen Anforderungen eines zeitgemäßen Museums kaum mehr entspricht, wird transformiert, kommentiert und gestört. Schon mit einer neuen, weit sichtbaren "Beschriftung" des Hauses werden unterschiedliche Assoziationen ausgelöst: Roman Ondák verwandelt das Logo "Wien Museum", das sich auf dem modernistischen Flachdach befindet, und gibt ihm durch Veränderung von zwei Buchstaben eine andere Bedeutung. Werner Feiersinger transferiert ein Architekturdetail aus dem Inneren in den Außenraum: Ein Geländer von Oswald Haerdtl wird zu einer 10 Meter langen Skulptur im Eingangsbereich. Eine Außenskulptur von Andreas Fogarasi, die der Künstler als "Placemark" bezeichnet, zitiert die von Haerdtl ausgewählten Marmorplatten.

Auch Heimo Zobernig bezieht sich direkt auf einen Aspekt von Haerdtls Innenausstattung. Die alte Sitzkassa wird aus dem Museumsdepot geholt und wieder im Foyer aufgestellt, wo sie sich jahrzehntelang befand. Zobernig setzt einen weißen Kubus darauf und dreht so das übliche Verhältnis zwischen Sockel und Ausstellungsobjekt um. Die funktionslos gewordene Sitzkassa weist auf die Veränderungen im Museumsbetrieb seit den 1950er-Jahren hin. Adrien Tirtiaux nimmt auf einen späteren architektonischen Eingriff Bezug. Er lässt eine eingefügte Zwischenwand zum Teil umlegen und stellt so die ursprüngliche Transparenz wieder her. Seine Intervention mit dem Titel "Der Himmel über Wien" schafft auch neue Bezüge zwischen Innen und Außen. Ebenfalls um eine veränderte Wahrnehmung des Raumes geht es Gerwald Rockenschaub, der eine Wand im Stiegenhaus farblich akzentuiert.

Pia Lanzinger beschäftigt sich in einer Videoarbeit von 2008 mit dem Wiederaufbau in Wolfsburg, der von Krieg stark zerstörten Volkswagen-Stadt. Sofie Thorsen bringt ein zeittypisches Gemeindebau-Sgraffito aus den 50er-Jahren, das Bauarbeiter auf Gerüsten zeigt, in abstrahierter Form als 15 Meter hohes Wandbild ins Museum. In luftiger Höhe verbirgt sich ein von Hans Schabus ins Museum gebrachter ausgestopfter Wellensittich – eine Referenz an ein typisches Haustier der 50er-Jahre und eine Erinnerung an Freiheitsträume in beengter Zeit.

Mehrere Kunstwerke beziehen sich auf die internationale Moderne, die in den Nachkriegsjahrzehnten nicht nur im Westen zum Leitstil wurde, sondern auch in die kommunistischen Staaten ausstrahlte. Łukasz Gorczyca präsentiert eine Auswahl von mehr als 200 Postkarten mit funktionalistischen polnischen Kulturbauten der 50er- und 60er-Jahre. Der junge polnische Künstler Szymon Kobylarz blickt mit seinem Modell einer von Le Corbusier inspirierten Wohnhausanlage in Kattowitz auf die Utopien der Architektur-Moderne zurück: Er zeigt einen Wohnblock als düstere Ruine. Auf das "House of Cards" von Ray Eames bezieht sich eine Installation von Gerold Tagwerker, auf eine Villa von Victor Gruen im fernen Kalifornien die konzeptuelle Arbeit "Original Condition" von Dorit Margreiter.

Im Rahmen der Ausstellung wird zum ersten Mal eine ungewöhnliche Erwerbung des Wien Museums gezeigt: 387 Modelle von Häusern im Stil der Nachkriegsjahrzehnte, die Peter Fritz, Versicherungsbeamter in Wien, gebastelt hat und die eine Art Typologie des Bauens der 1950er- und 1960er-Jahren darstellen. Unter dem Titel "Sondermodelle" untersuchten der Künstler Oliver Croy, der die Kollektion 1993 in einem Wiener Altwarengeschäft erworben hat, und der Architekturhistoriker Oliver Elser seit vielen Jahren das architektonische Potenzial der aus Papier, Karton und Klebstoff hergestellten Miniaturgebäude. In vielen Ausstellungen waren die Modelle bereits zu sehen, zuletzt 2006 bei der von Maurizio Cattelan kuratierten Berlin Biennale.


Ausstellungkatalog: "Fifty Fifty. Kunst im Dialog mit den 50er-Jahren." Hg.: Wolfgang Kos und Gudrun Ratzinger; erscheint Mitte Juni mit allen für die Ausstellung realisierten Werke.

Fifty Fifty
Kunst im Dialog mit den 50er-Jahren
14. Mai bis 11. Oktober 2009