Ferner Hall aus Echokammern

19. Dezember 2016 Kurt Bracharz
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Die Deutschen wollen Facebook und Konsorten zwingen, Hasspostings und Fake-Meldungen schneller zu löschen, als sie es derzeit tun. Marktbeherrschende Plattformen sollen zum Betrieb von eigenen Rechtsschutzstellen rund um die Uhr verpflichtet werden. Bußgelder bis zu 500.000 Euro könnte Zuckerberg zwar aus der – in seinem Fall besonders metaphorischen – Portokasse zahlen, aber das ist nicht das eigentliche Problem bei diesem hilflosen Versuch der Politiker, die asozialen Auswüchse der sogenannten sozialen Plattformen zu beschneiden. Das Kernproblem ist aber ohnehin das einer jeden Zensur: Wer bestimmt, was zensuriert werden soll?

Der britische Historiker und "Guardian"-Kolumnist Timothy Garton Ash ist wegen seines neuen Buches "Redefreiheit. Prinzipien für eine vernetzte Welt" vom Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) nach Wien eingeladen worden, wo er bei einem Vortrag im Wien-Museum unter anderem sagte: "Das Internet ist aber auch die größte Kloake der Weltgeschichte, voller Beschimpfungen, schädlicher und dummer Inhalte. Wir sollten auf schlimme Meinungsäußerungen mit mehr und besseren Meinungsäußerungen oder, kurz gesagt, mit Gegenrede reagieren. Wir ignorieren die Scheiße leider viel zu oft."

Das ist der humane Gedanke eines Oxford-Intellektuellen, aber die Realität sieht anders aus. Gerade in diesen Medien nehmen die User doch nur noch das zur Kenntnis, was genau zu ihren vorgefassten Meinungen passt. Ash nennt diese Communitys von Gleichgesinnten "Echokammern", bei uns spricht man meistens von "Blasen". Gegen diese geschlossenen Meinungskreisläufe nützen noch so gut gemeinte und selbst gut verfasste "Gegenreden" nichts, denn diese werden ignoriert oder für Feindpropaganda gehalten.

Wenn man sich die Postings zu "heißen" Themen auf den Webseiten von Qualitätszeitungen ansieht, stellt man fest, dass auch hier die Poster kaum aufeinander eingehen, und wenn doch, dann am ehesten mit gegenseitigen Beleidigungen. (Doch, es gibt noch Qualitätszeitungen, gerade im deutschen Sprachraum. Ihre Printausgaben werden zwar immer dünner und immer teurer, aber sie sind nach wie vor das Salz in der Mediensuppe. Die Twitterer tragen freilich nichts zu ihrer Erhaltung bei, Zeitungsartikel sind halt doch länger als die 140 Zeichen, die ihre Aufmerksamkeitsspanne gerade noch umfasst.)

Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang noch an Pommer’s Law, jene Internet-Gesetzmäßigkeit, die Rob Pommer im Jahre 2007 bei RationalWiki 1.0 so formulierte: "A person"s mind can be changed by reading information on the internet. The nature of this change will be: From having no opinion to having a wrong opinion." Frei übersetzt: Ein Mensch kann seine Meinung durch das Lesen von Informationen im Internet ändern. Wo er vorher keine Meinung hatte, hat er nachher eine falsche."

Übrigens: Unternehmen und politische Einrichtungen kommen heute um die Teilnahme an Facebook nicht herum, aber Privatpersonen können zumindest derzeit noch nicht gezwungen werden, ihren Kopf in die große Kloake zu stecken. Anders gesagt: Sie müssen nicht dabei sein, wenn Sie das nicht wollen.