Anlässlich des 200. Geburtstags von Johann Strauss schließt sich auch das MAK den Feierlichkeiten an und zeigt in der Plakatausstellung „Johann Strauss: Rausch und Ekstase”, wie eng die Anfänge des expressionistischen Ausdruckstanzes mit dem Wiener Walzer verbunden waren.
Diese Form des künstlerischen Tanzes erlebte ihre Blütezeit im Wien der Jahre 1900 bis 1930 und war maßgeblich von Strauss’ Musik inspiriert. Individuelle Formen in Rhythmik, Gestik und Emotion lösten die Bewegungsabläufe des Wiener Walzers ab. Im MAK Plakat Forum werden über 40 Plakate gezeigt, die die aufsehenerregenden Vorstellungen von Performerinnen wie Gertrud Bodenwieser, Grete, Elsa und Berta Wiesenthal, Anny Day-Helveg, Maria Ley oder Gertrude Barrison bewarben.
Das beginnende 20. Jahrhundert markiert eine der turbulentesten und kreativsten Epochen Österreichs: Politische Instabilität, tiefgreifende soziale Umwälzungen und eine vibrierende intellektuelle und künstlerische Szene prägten das kulturelle Klima in Wien, der Hauptstadt eines zerfallenden Imperiums und später einer jungen Republik. In dieser Atmosphäre – zwischen der Psychoanalyse Sigmund Freuds und dem künstlerischen Aufbruch der Wiener Secession – erwies sich Wien als aufgeschlossen für eine Tanzform, die als „Freier Tanz“ radikal mit der Vergangenheit brach.
Der Ausdruckstanz stellte eine deutliche Abkehr von der Sprache des klassischen Balletts dar. Seine Pionierinnen suchten nach einer Verbindung zwischen innerem Erleben und äußerer Bewegung; der Körper wurde zum primären Instrument und zum Seismografen der Seele. Charakteristisch war das Barfußtanzen, das eine erdverbundene, natürliche Bewegung ermöglichte. Fließende Gewänder ersetzten das steife Korsett und betonten die natürliche Körperform – der Tanz erhielt buchstäblich ein „Reformkleid“. Eine der Wegbereiterinnen des Ausdruckstanzes war die US-Amerikanerin Isadora Duncan (1877–1927). Sie feierte ihre ersten großen solistischen Erfolge in London, Paris, Moskau und in der Folge auch in Wien. In einer Zeit, in der Frauen um Gleichberechtigung kämpften, konnten Tänzerinnen nicht nur als Interpretinnen, sondern auch als Choreografinnen, Pädagoginnen und Leiterinnen eigener Schulen wirken. Der Ausdruckstanz wurde so zu einem wichtigen Feld weiblicher Selbstermächtigung.
Zu den frühesten und prägendsten Figuren zählten die Schwestern Wiesenthal: Grete (1885–1970), Elsa (1887–1967) und Berta (1892–1953). Ausgebildet an der Ballettschule der Wiener Hofoper, rebellierten sie gegen den Drill und verließen die Institution, um eigene Wege zu gehen. Anlässlich der Eröffnung des Cabaret Fledermaus debütierten sie mit ihrem neuen Tanzstil und rissen das Publikum sofort zu Begeisterungsstürmen hin. Ihre Interpretationen des „Donauwalzers” eroberten selbst Jahrzehnte später das Publikum im Sturm.
Zentrale Figur war Grete Wiesenthal. Für ihre Tanzaufführung „Der Geburtstag der Infantin” fertigte ihr späterer Mann, der Grafiker Erwin Lang (1886–1962), das Plakat an. Der Sohn der Frauenrechtlerin Marie Lang gestaltete viele weitere Plakate für seine Frau. Ihr künstlerisches Schaffen kann als feministischer Akt der Selbstbestimmung interpretiert werden.
Einen Höhepunkt des Ausdruckstanzes markierte das Wirken von Gertrud Bodenwieser (1890–1959). Sie führte eine Tanzschule und gründete die international erfolgreiche „Tanzgruppe Bodenwieser“. Charakteristisch für sie waren eindrucksvolle Gruppenchoreografien, in denen sie soziale Dynamiken und Probleme der Moderne thematisierte. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft zwang die politische Entwicklung Bodenwieser 1938 zur Emigration nach Kolumbien und später nach Australien. Ihr Exil steht symptomatisch für das abrupte Ende des Ausdruckstanzes in Österreich durch den Nationalsozialismus.
Johann Strauss: Rausch und Ekstase
MAK Plakat Forum
17. Juni bis 2. November 2025