Die Literaturwissenschaftlerin und Autorin Nicole Seifert hat mit ihrer aktuellen Publikation „FrauenLiteratur. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt" das Thema der Literaturtage 2022 angestoßen. Darin spricht sie von Literaturbetrieb und Kanon, die lange als geschlechtsneutral und objektiv galten – einzig vom Kriterium der Qualität bestimmt.
Gender und Postcolonial Studies aber klären nun über die Zusammenhänge von Kanon und Macht auf. Autorinnen werden neu gelesen, beforscht, bewertet, übersetzt und wieder aufgelegt. „Sie werden kanonisch".
Die Feldkircher Literaturtage 2022 befragen den Status Quo dieser Debatte mithilfe von literarischen und literaturwissenschaftlichen Beiträgen: Kanonbildung, Sprache und Rezeption neu beleuchtet.
Do. 12. Mai 2022, 19.30 Uhr, Theater am Saumarkt
Intro: Philipp Schöbi, Anna Hensler – Zur ersten literarisch publizierenden, eng mit Feldkirch verbundenen Vorarlbergerin, einst populär, heute vergessen
Mit ihrem Roman „Frankreichs Lilien. Die Schicksale der Kinder Ludwigs XVI." von 1905 landete Anna Hensler einen Welterfolg, der erst durch Robert Schneiders „Schlafes Bruder" (1992) übertroffen wurde.
Brigitte Spreitzer, Else Jerusalem, Der heilige Skarabäus - Ein Skandalroman der Sonderklasse
Vortrag und Gespräch
Moderation: Anika Reichwald"Skandalös" an diesem 1909 erschienenen und über 40-mal neu aufgelegten Roman war die im Rotlicht-Milieu spielende Geschichte vom Aufstieg und Untergang eines Wiener Bordells, dessen Kunden und Bewohnerinnen. Wie konnte die Autorin - aus bürgerlichem Haus, verheiratet und Mutter- so einen Roman schreiben?
Fr. 13. Mai 2022, 19.30 Uhr, Theater am Saumarkt
Marlene Streeruwitz, Geschlecht. Zahl. Fall
Lesung"Marlene Streeruwitz bleibt in ihren Vorlesungen ihren Lebensthemen Sprache und Macht, Männer und Frauen treu", schreibt Kirstin Breitenfellner in ihrer FALTER-Kritik.
Da Sprache qua ihrer Grammatik Macht abbildet, versucht Streeruwitz diese seit Beginn ihres Schreibens durch elliptische Sätze, Aufzählungen, Ausrufe und Beschwörungen aufzubrechen.Sabine Scholl, Die im Schatten, die im Licht
LesungDer Roman nach wahren Vorbildern und aus weiblicher Perspektive verbindet neun Frauenschicksale miteinander und bietet ein Panorama des Zweiten Weltkriegs. Präzise recherchiert erzählt er von Frauen zwischen Anpassung und Widerstand und rückt die von männlichen Erzählungen bestimmte Geschichtsschreibung zurecht.
Anschließend Gespräch mit den beiden Autorinnen
Moderation: Veronika Schuchter
Sa. 14. Mai 2022, 19.30 Uhr, Theater am Saumarkt
Sharon Dodua Otoo, Adas Raum
Lesung„Adas Raum" verwebt die Lebensgeschichten vieler Frauen zu einer Reise durch die Jahrhunderte und über Kontinente. Ein überraschender Roman, der davon erzählt, was es bedeutet, Frau zu sein. Ada ist Opfer, leistet Widerstand und kämpft für ihre Unabhängigkeit. Otoos Mut und Neugier, die Vergangenheit und die Gegenwart zu verstehen, machen atemlos.
Veronika Schuchter, Das Geschlecht der Kritik oder werten Frauen anders?
Impulsvortrag„Die Literaturkritik misst die Werke von Frauen und Männern mit zweierlei Maß", schreibt Nicole Seifert und verweist auf die Literaturwissenschaftlerin Veronika Schuchter, die dieses Feld untersuchte. Texteigenschaften seien in der Literaturkritik klar männlich oder weiblich konnotiert. Was dies für die Kanonisierung bedeutet wird nachfolgend diskutiert.
Podiumsdiskussion: Vom Vergessen - Kanonisierung als Instrument der Macht und Möglichkeit
Moderation: Veronika Schuchter
Teilnehmerinnen: Sharon Dodua Otoo, Sabine Scholl, Brigitte Spreitzer und Marlene Streeruwitz
Biografien:
Sharon Dodua Otoo ist Schriftstellerin und politische Aktivistin, 2016 Gewinnerin des Ingeborg-Bachmann-Preises, 2020 hielt sie die Klagenfurter Rede zur Literatur „Dürfen Schwarze Blumen Malen?", politisch aktiv ist Otoo bei der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland und in anderen Vereinen, ihr Romandebüt „Adas Raum" erschien 2021.
Anika Reichwald, studierte Rhetorik, Neuere Deutsche Literatur und Geschichte in Tübingen, Bis 2020 Sammlungsleitung am Jüdischen Museum Hohenems, seit 2021 als Kuratorin verantwortlich für Ausstellungen ebenda, Publikationen zu fantastischer Literatur, literarischem Antisemitismus und deutsch-jüdischer Literatur und Kultur.
Philipp Schöbi, Mathematiker und Gymnasiallehrer, Publikationen auf den Gebieten der Höheren Geometrie, der Literatur und der Wissenschaftsgeschichte. Mitherausgeber und Mitautor der Biografie „Rheticus – Wegbereiter der Neuzeit“ (2010, 2014), Autor „Das literarische Feldkirch" (2018).
Sabine Scholl, studierte Germanistik, Geschichte und Theaterwissenschaften in Wien, lebte in Aveiro, Chicago, New York, Nagoya, wo sie an Universitäten lehrte, Teilnehmerin und Jurorin beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb, seit 2019 lebt und arbeitet sie wieder in Wien, 2021 erschien ihr Essay „Lebendiges Erinnern - Wie Geschichte in Literatur verwandelt wird".
Veronika Schuchter promovierte 2012 zu Opfer-, Heldinnen- und Täterinnenbildern in Literatur und Film, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik in Innsbruck, Forschungsschwerpunkte: Literaturkritik- und Rezeptionsforschung, Gender, Gegenwarts- sowie Exilliteratur.
Brigitte Spreitzer, Habilitationsschrift „Texturen. Die österreichische Moderne der Frauen" im Rahmen des Grazer Spezialforschungsbereichs „Moderne – Wien und Zentraleuropa um 1900", Dozentin für Deutsche Literatur am Institut für Germanistik in Graz und Psychotherapeutin für Katathym Imaginative Psychotherapie.
Marlene Streeruwitz, studierte Slawistik und Kunstgeschichte, für ihre Romane erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, stand auf der Short- und Longlist des Deutschen Buchpreises, zuletzt erschien „So ist die Welt geworden. Der Covid-19-Roman", 2020 wurde sie mit dem Preis der Literaturhäuser ausgezeichnet.