Fast Food Nation

Die Nahrungsmittelindustrie ist in Richard Linklaters Adaption von Eric Schlossers Sachbuch nur der Ausgangspunkt für einen facettenreichen kritischen Blick auf die US-Gesellschaft. Geschickt fiktionalisiert Linklater die nonfiktionale Vorlage und verschränkt mehrere Erzählstränge, doch in der Breite verliert "Fast Food Nation" sowohl an Biss als auch an Tiefgang.
Ernährungskritische Filme sind en vogue. Erwin Wagenhofer durchleuchtete in "We feed the World" informativ die Nahrungsmittelproduktion, Nikolaus Geyrhalter schuf in "Unser täglich Brot" kühle Bilder vom Verschwinden des Menschen und der Technisierung der Produktion und Morgan Spurlock wetterte in "Supersize Me" gegen die miserable Qualität von Fast Food und rückte die gesundheitlichen Schäden, die aus ihrem übermäßigen Konsum resultieren, in den Mittelpunkt.
Für Richard Linklater ist die Nahrungsmittelindustrie an sich nur der Ausgangspunkt, um aufzuzeigen, wie in der heutigen (US)-Gesellschaft alles vernetzt ist. Aus den drei Ebenen von Schlossers Buch – die Marketing-Abteilung der fiktiven Fast Food-Kette "Mickeys", Teenager, die aus Geldnot als billige Arbeitskräfte in den Fast Food-Buden als Verkäufer jobben und illegale mexikanische Arbeiter, die in den Produktionsstätten, also im Schlachthaus, arbeiten - bastelt Linklater drei Erzählstränge. Wie es momentan im Kino von Steven Soderberghs Drogenfilm "Traffic" über Stephen Gaghans "Syriana" bis zu Alejandro González Inárritus "Babel" sehr beliebt ist, werden diese drei Ebenen durch eine Parallelmontage miteinander verschränkt.
Es beginnt satirisch mit einer Sitzung in der Marketing-Abteilung von Mickeys – der Name ist im Grunde unwichtig, McDonalds und Burger King werden nur einmal als Konkurrenten genannt. Ein Besuch im Labor macht schnell klar, dass der Geschmack chemisch hergestellt wird. Weil im Flaggschiff des Konzerns, dem "Big One", bei Tests Kuhmist gefunden wurde, wird Marketing-Leiter Don Henderson (Greg Kinnear) beauftragt der Sache auf den Grund zu gehen und die Fleischproduktion in Cody im Bundesstaat Colorado auf Hygiene zu prüfen.
Parallel dazu flüchten Sylvia (Catalina Sandino Moreno), ihr Mann Paco, ihre Schwester Coco und einige andere mit Hilfe eines Schleppers von Mexiko in die USA und landen bald in der Mastzucht und im Schlachthof von Cody: Sie bekommen Schutzanzüge, alles sieht klinisch sauber aus, doch immer wieder gibt es hier grässliche Unfälle und zudem werden die Frauen am Fließband von einem Vorarbeiter sexuell belästigt. Genau zeigt Linklater die miesen Arbeitsbedingungen, die die Betroffenen nur durch Einnahme von Drogen durchstehen. – In den eigentlichen Schlachthof, dorthin, wo das Blut richtig spritzt, führt der Film aber erst in einer finalen Steigerung.
Und auf einer dritten Ebene gibt’s die Schülerin Amber (Ashley Johnson), die um Geld zu verdienen in ihrer Heimatstadt Cody im "Mickeys" arbeitet, durch den Einfluss ihres flippigen Onkels (Ethan Hawke) und ihrer gesellschaftskritischen Clique, aber schließlich kündigt und Protestaktionen zu starten versucht.
Diese Amber ist Linklaters wichtigste Figur. Mit ihr will er die amerikanischen Jugendlichen ansprechen, will sie zum Nachdenken und zum Protest bewegen. Während sich der Marketing-Leiter Henderson etwa zur Halbzeit völlig aus dem Film verabschiedet und erst wieder in der Schlussszene auftaucht, gewinnt Amber zunehmend an Gewicht. Deutliche Kritik an der US-Politik und George W. Bush übt der Film, wenn ein Teenager feststellt, dass er sich im Augenblick nichts Patriotischeres vorstellen könne als die Verletzung des Patriot Acts oder erklärt, dass seit 9/11 jeder Umweltaktivist sofort als gefährlicher Terrorist verhaftet wird. – Ganz offen appellativ ist Linklater hier und ruft zum Widerstand und zur "Gewalt gegen Sachen" auf. Dieser Appell verpufft aber letztlich im Nichts, da "Fast Food Nation" auch resignativ das Scheitern der Protestaktionen zeigt.
Unübersehbar ist dabei immer auch, dass es Linklater um die Vermittlung von Informationen geht und die Figuren nur Trägerfunktion haben. In der Handlungs- und Faktenfülle gewinnen sie kaum Konturen, werden kaum zu Charakteren aus Fleisch und Blut, deren Schicksal berührt. Gerade in der breiten Anlage des Films liegt das Problem. Bestechend werden durch die Parallelmontage die Zusammenhänge sichtbar gemacht, doch in der daraus resultierenden fehlenden Fokussierung verflüchtigt sich sowohl die sozialkritische Anklage als auch die satirische Schärfe. Überall will "Fast Food Nation" sein, ist aber nirgends mit letzter Entschiedenheit.
Aufschlussreich ist dieser Film, facettenreich, aber eben auch oberflächlich, da es Linklater nicht gelingt die Erzählung entscheidend zu verdichten. Infotainment und Fiktionalisierung, Gesellschaftskritik und Unterhaltung, durch die ein großes - vor allem jugendliches - Publikum angelockt werden soll, stehen sich hier gegenseitig im Weg und, da die fiktive Story nur Trägerfunktion für die Information hat, bleiben Längen vor allem im Mittelteil nicht aus.
Ein seltsamer, nicht uninteressanter, aber letztlich etwas flacher Zwitter ist so entstanden, in dem Stars in kleinen Nebenrollen wie Kris Kristofferson als Rancher, der den Kampf gegen die allmächtige Fleischindustrie aufgegeben hat, Bruce Willis als Zulieferer der Firma, der zynisch auf Hendersons Anfrage bezüglich Kuhmist antwortet "Na und. Wir fressen doch alle Scheisse" oder Ethan Hawke als Hippie-Onkel für markante Glanzlichter sorgen.
Zu würdigen ist aber jedenfalls, dass Participant-Productions mit "Fast Food Nation" nach "Syriana", "Good Night and Good Luck" und "North Country" weiterhin auf kritische US-Filme setzt und sich so immer mehr zum Auffangbecken für engagierte Filmemacher wird, die nicht an stromlinienförmigen Kommerzprodukte interessiert sind, sondern mit ihren Filmen auch zu aktuellen gesellschaftlichen Problemen Stellung beziehen wollen.
Die Meinung von Gastautoren muss nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen. (red)