Fashion Drive. Extreme Mode in der Kunst

Vom 20. April bis 15. Juli 2018 lädt das Kunsthaus Zürich zu «Fashion Drive. Extreme Mode in der Kunst». Von der Schlitzmode über die Schamkapsel zu Haute Couture und Streetwear: 200 Werke zeugen davon, wie Kunstschaffende die Modewelt über Jahrhunderte wahrgenommen, kommentiert und beeinflusst haben. Die Ausstellung reicht von malerischen und plastischen Erscheinungen der Renaissance bis in die Gegenwart. Sie umfasst Gemälde, Skulpturen, Installationen, Grafiken und Aquarelle, Fotografien, Filme, Kostüme und Rüstungen von rund 60 Künstlerinnen und Künstlern.

Unter den von den Kuratoren Cathérine Hug und Christoph Becker zusammen-gestellten Leihgaben sind wahre «Hingucker», wie ein Faltenrockharnisch (um 1526), den die Schweiz noch nicht gesehen hat. Auch Werke der English School haben ihr Heimatland erstmals verlassen oder sind, wie das Gemälde von Robert Peake, das die «Gentlewoman of the Privy Chamber to Queen Elizabeth I» (um 1600) in kostbar besticktem Seidenkleid zeigt, plötzlich aus Privatsammlungen aufgetaucht.

Die Ausstellung berücksichtigt die Darstellung von Herren- und Damenmoden gleichermassen. Und sie ist durchaus kritisch. Karikaturen aus der Lipperheideschen Kostümbibliothek in Berlin nehmen die Fashionistas und Designer des 19. Jahrhunderts aufs Korn. Und wenn Jakob Lena Knebl (*1970) Skulpturen von Maillol und Rodin einkleidet, die sonst souverän ihre Nacktheit zur Schau tragen, geht es der «hohen Kunst» an den Kragen. Die Künstler und das Publikum sind sich der zwei Seiten der Mode – besser, des Modetriebs – bewusst. Inspiration, Innovation und Selbstermächtigung des Individuums einerseits stehen Ausgrenzungstendenzen und Ressourcenverschleiss gegen-über. In der Zusammenstellung der Werke verfolgt das Kunsthaus diesen differenzierten Ansatz.

Den Auftakt der Schau machen prächtige Gemälde aus dem 16. Jahrhundert. Schlitzmode und Schamkapsel galten in der Renaissance als der letzte Schrei – dabei finden wir die Anziehungskraft zerrissener Kleider, die auf jene Zeit zurückgeht, bis heute wieder. Im darauf folgenden Barock stritten die Halskrause und das Dekolleté miteinander. Als Zeichen der Aufklärung und der Loslösung von religiösen und standesbedingten Zwängen sind sie in Porträts von intro- und extrovertierten Persönlichkeiten dieser Zeit präsent. Monarchen wie Elizabeth I und Louis XIV gehörten dabei zu den frühsten Herrschern mit Weltruhm, die ihre Macht auch systematisch über ihre Garderobe inszenierten und festigten. In ganz Europa fanden sie Nachahmer, auch in der Schweiz.

Dass Mode und Design zu einem hedonistischen Lebensstil verschmelzen, der andere ausschliesst, erfährt der Betrachter im Kapitel vom Rokoko zur Französischen Revolution. Damals bereits ist nachweisbar, dass Künstler die Mode inspirieren: die eigenwillige Falte an der hinteren Schulterpartie ist nach dem Maler Antoine Watteau benannt. Augenfällig illustriert werden diese Neuerungen und Extreme anhand der Gemälde von Marie-Antoinette, der «Merveilleuses» (die Wunderbaren) und ihren männlichen Pendants, der «Incroyables» (die Unglaublichen).

Das Erste Kaiserreich und der Wiener Kongress bringen eine Rückbesinnung auf antike Werte hervor. In den Darstellungen dieser Zeit erkennt man neben den Militär- nun auch Dienstuniformen. Einflussreiche Salondamen wie Juliette Récamier lassen sich porträtieren und inspirierten ihre Umgebung nicht nur zu neuen Möbeln, sondern auch zu neo-klassizistischen Auftritten. Trotz Napoleons Fall: Noch bestimmen die Pariser, was Mode ist. Diese Ausstellung wirft jedoch ein neues Licht auf die Bedeutung des Wiener Kongresses (1814–15) zur Neuordnung Europas. Erstmals reisten einflussreiche Herrscher gemeinsam mit ihren Gattinnen an. Es wurde verhandelt, aber noch mehr gefeiert, was eine entsprechende Garderobe verlangte und eine emsige lokale Produktion hervorrief. Formen und Techniken dieser Schneiderkunst sind in Märtyrer-Darstellungen ebenso auffindbar wie in Siegerposen.

Der Besucher kann sich auf ein nuancenreiches Spiel einlassen. Findet er die Details, die in der akademischen Malerei einen Gentleman vom Dandy unterscheiden? Galten diese männlichen Typen als modern, erstaunt es umso mehr, dass die Damen zur selben Zeit wieder den Reifrock angelegt bekamen. Künstler reagierten darauf fassungslos bis amüsiert, wie man an Werken von Édouard Manet, Félix Vallotton, Contessa di Castiglione und heute John Baldessari unschwer erkennen kann. Ihre Darstellungen kippen ins Genre der Karikatur.

Konsequenterweise kam es Anfang des 20. Jahrhunderts zur Befreiung des Körpers. Mode erhielt eine breitere Öffentlichkeit, wurde erschwinglich und über Kaufhäuser verbreitet. Progressive Künstlerinnen und Künstler wie Gustav Klimt und Emilie Flöge, Henry van de Velde, und die Futuristen Giacomo Balla und Filippo Marinetti entwerfen Kleider. Dadaisten definierten, wie sie es bereits mit der Sprache versuchten, den Zweck der Bekleidung neu. Kunst- und Modefotografie nähern sich an (Man Ray) und russische wie französische Avantgardistinnen (Natalia Gontscharowa, Sonia Delaunay) reagieren mit eigenen Entwürfen. Das Ornament ist in Mode und wird eingewebt oder gedruckt – in Bildfindungen des Jugendstils ebenso wie in die Kleidung. Seither ist die anfangs idealistisch gemeinte Verbindung von Kunst und Mode auch kommerziell noch gewachsen. Der Personenkult verbindet Modemacher mit den Künstlern der Pop Art. Beide setzen auf Ikonen, nutzen laute, plakative Symbole und Slogans, wie die Werke von James Rosenquist, Andy Warhol und Franz Gertsch bezeugen. Die Jugend- und Subkulturen werden für Künstler wie Modemacher gleichermassen inspirierend. Mode wird ganz handfest künstlerisches Material.

Von der Haute Couture über das Prêt-à-porter zu Fast Fashion: In ihrem letzten Kapitel spannt die Ausstellung einen Bogen bis zur Nachhaltigkeit und zu posthumanen Visionen. Künstlichkeit, die (De)konstruktion des Körpers und eine Kritik am Markenkult markieren die künstlerische Produktion im 21. Jahrhundert. Seit Michelangelo Pistoletto leistet eine junge Generation mit Installationen, Performances und Videos Widerstand für ein ethisch, ökologisch und politisch korrektes Verhalten.

Das Kunsthaus Zürich verfolgt hier das Ziel, mehrere Jahrhunderte Kunst-, Mode- und Sozialgeschichte vernetzt reflektierbar und sinnlich erlebbar zu machen. Werke vergangener Epochen sind überraschend frisch inszeniert. Ihre ursprüngliche Bedeutung wird im aktuellen Kontext neu erfahrbar. Schön, humorvoll, lehrreich ist der auf 1000 m2 und im Rahmen der Festspiele Zürich angelegte Parcours, der von einer Publikation und Veranstaltungen gesäumt wird. Ein Catwalk mit Schlaglöchern!


Der Katalog «Fashion Drive. Extreme Mode in der Kunst» (Verlag Kerber, Bielefeld) ist zum Ausstellungsbeginn am Kunsthaus-Shop erhältlich. Das neue Standardwerk umfasst 300 Seiten, mehrere hundert Abbildungen und Beiträge von Christoph Becker, Sonja Eismann, Nora Gomringer, Cathérine Hug, Janine Jakob, Elfriede Jelinek, Inessa Kouteinikova, Monika Kurzel, Peter McNeal, Aileen Ribeiro, Franz Schuh, Werner Telesko, Katharina Tietze, Barbara Vinken und Peter Zitzlsperger.

Fashion Drive. Extreme Mode in der Kunst
20. April bis 15. Juli 2018