Experiment Metropole

Nach der Großausstellung "Kampf um die Stadt", die Politik, Kunst und Alltag um 1930 darstellte, zeigt das Wien Museum wieder ein Epochenpanorama. Diesmal geht es um die Zeit um 1873, eine entscheidende Transformationsphase Wiens auf dem Weg zur großstädtischen Metropole. 1873 war mit der Abhaltung der gigantisch dimensionierten Weltausstellung ein Schlüsseljahr. Diese war Ausdruck des Anspruchs Wiens, internationale Bedeutung zu gewinnen, und Höhepunkt einer Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs und des Fortschrittsoptimismus.

Um 1850 hatte Wien 550.000 Einwohner, in den 1870er-Jahren waren es über eine Million. Die Gründerzeit war eine der dynamischsten Phasen, die Wien jemals erlebt hat. Im Stadtbild, in der Modernisierung der Infrastruktur, aber auch in Kultur und Lebensstil kam es zu Neuerungen, die Wien gravierend veränderten und bis heute prägen. Motor der Entwicklung war das liberale Besitzbürgertum. Nach dem Abbruch der Stadtmauern wurde Wien ab den 1860er-Jahren radikal umgebaut. Das opulente "neue" Wien entlang der Ringstraße mit ihren öffentlichen Bauten und den Palais der "Geldbarone" demonstrierte den weltstädtischen Ehrgeiz einer Gesellschaft im Umbruch. Dieser fand in der Architektur ebenso seinen Ausdruck wie in den opulenten Luxusprodukten des Kunstgewerbes.

1873 wurde die Hochquellenwasserleitung fertiggestellt, mit der die Versorgung der rasant wachsenden, aber hygienisch rückständigen Stadt mit gesundem Wasser gesichert werden sollte. Ein anderes epochales Großprojekt war die Donauregulierung: Sieben Jahre lang wurde das neue, schnurgerade Flussbett ausgebaggert. Auch der neue Zentralfriedhof wurde in jenen Jahren angelegt. Die rasante Stadterweiterung führte zu einer sozialräumlichen Segregation zwischen Zentrum und Peripherie. Massenzuwanderung und die Zunahme des Industrie-proletariats brachten Wohnungsnot und Elend mit sich. Um 1870 begann auch die von Spekulation getriebene Anlage der Außenbezirke mit monotoner Rasterbebauung.

Die Ausstellung wirft Scheinwerfer auf Phänomene wie Massenunterhaltung und Exotismus, Mode und Wohnkultur, Medizin und Technik. In die 1870er-Jahre fällt die Kampagne gegen die Abholzung des Wienerwalds ebenso wie die Nordpolexpedition. Und der junge Anwalt Karl Lueger, damals noch ein Liberaler, stieg in die Politik ein.

Im Zentrum der Schau steht die Weltausstellung. Sie war die erste, die nicht in London oder Paris stattfand, und die bisher größte. Auf dem Gelände im Prater befanden sich riesige Bauten, darunter die 800 Meter lange Industriehalle und der 80 Meter hohe Kuppelbau der Rotunde, die zu einem neuen Wiener Wahrzeichen werden sollte. Zahlreiche Exponate von damals sind in der Ausstellung zu sehen. Es kamen sechs Millionen Besucher, doch die Ziele wurden nur zum Teil erreicht. Nach der Eröffnung gab es einen Börsensturz, mit dem die überhitzten Boomjahre zu Ende gingen. Auf die "fetten Jahre" folgte eine tiefe Krise.


Experiment Metropole
1873: Wien und die Weltausstellung
15. Mai bis 28. September 2014