Existenz-Fest. Hermann Nitsch und das Theater

Hermann Nitschs komplexes Gesamtwerk zwischen Malerei und Theater reiht sich in die Geschichte der visionären, die Kunst erweiternden Werkentwürfe ein. Im Zentrum steht dabei das "o.m. theater" (Orgien Mysterien Theater), ein sechs Tage und Nächte dauerndes Ereignis. Rauschhafte Existenzerfahrung und kathartisches Erleben sollen Wirkung dieser partizipatorischen, dramatischen und meditativen Erlebniskunst sein.

Das Ausstellungs- und Publikationsprojekt des Theatermuseums Wien, welches in enger Zusammenarbeit mit dem Museum Villa Stuck entstanden ist, hat sich das Ziel gesetzt, explizit auf die szenischen Eigenschaften und die theatergeschichtliche Kontextualisierung des o.m. theaters einzugehen, um so eine erweiterte und umfassende Sicht auf das Gesamtwerk des Künstlers zu ermöglichen. Eine wichtige Rolle kommt dabei dem erstmals gezeigten, bis heute nicht wissenschaftlich bearbeiteten Handschriftenmaterial des Künstlers zu, welches wie ein Leitfaden durch die Präsentation führt. Filmdokumente, Tonaufnahmen, eine von Nitsch für diese Ausstellung hergestellte Video-Rauminstallation zum Thema der Synästhetik sowie die Präsentation der Stiertrage, die erstmals 1998 beim 6-Tage Spiel verwendet wurde, verstärken den Erlebnischarakter der Ausstellung und verweisen auf die zentrale Rolle, die dem unmittelbar Erfahrbaren in Nitschs Kunst zukommt.

Der Universalkünstler Hermann Nitsch arbeitet seit 1957 an der Theorie und Verwirklichung seines o.m. theaters. Dabei handelt es sich um ein dramatisches Epos, für dessen vollständige Ausführung der Künstler eine "extraterritoriale" Idealarchitektur, einen Spielbezirk – mit seinem Wohn- und Arbeitsort Schloss Prinzendorf im Zentrum – entworfen hat. Ab 1963 hat er weltweit in zahlreichen Aktionen und an unterschiedlichsten Orten zentrale Elemente des als Existenzfest angelegten Mysterienspiels vorgestellt. 1998 wurde erstmals eine Version der sechs Tage und Nächte dauernden Gesamtfassung realisiert und Nitschs Schaffen reiht sich damit in die Geschichte der visionären, die Kunst erweiternden Werkentwürfe – von Monet bis Turell, von Skrjabin bis Artaud, vom Living Theater bis Schlingensief – ein.

Dem synästhetischen Aufbau seiner Kunst entsprechend organisiert sich um die dramatische Struktur des o.m. theaters ein umfangreiches bildnerisches, musikalisches und literarisches Werk, in dem der Künstler die Motive und Symbolik seiner Material- und Bildsprache, die Verräumlichung und die detaillierten "Aktionspartituren" entwickeln konnte. Trotzdem wurde seit den 1960er Jahren die Arbeit Nitschs beinahe ausschließlich in Galerien, Kunstvereinen und Museen gezeigt. Das hat die öffentliche Aufmerksamkeit und die Gewichtung der Rezeption seines Werks in den Bereich der Bildenden Kunst tendieren lassen.

Begleitend zur Entwicklung des o.m. theaters entstand eine ausführliche Theorie, mit der Nitsch eine historische Kontextualisierung, kulturgeschichtliche Genese und wirkungsgeschichtliche Untermauerung vorschlägt. Das zentrale Motiv und Thema in Nitschs Kunst ist die Darstellung und Überwindung des Tragischen, ja des Todes, durch kathartisches Erkennen. Ab Mitte der 1960er Jahre wurden seine Aktionen nicht nur im Bereich der Bildenden Kunst, sondern zugleich als Teil der die Möglichkeiten der Kunst radikal erweiternden Performance- und experimentellen Theaterszene wahrgenommen. Dabei zeigt sich, dass die Formensprache und Ästhetik des von Nitsch in Theorie und Praxis erdachten Theaters auch als Grundlage für Inszenierungen auf Bühnen geeignet war, zu denen er ab den 1990er Jahren eingeladen wurde.

Nitsch feierte sowohl als Regisseur von Jules Massenets "Hérodiade" an der Wiener Staatsoper und Robert Schumanns "Faust" am Opernhaus Zürich als auch mit dem Experiment einer Adaption des o.m. theaters für die moderne, illusionistische Guckkastenbühne des Burgtheaters beeindruckende Erfolge. Zuletzt zeichnete er 2011 für Ausstattung und Regie von Olivier Messiaens "Saint François d’Assise" an der Bayerischen Staatsoper München verantwortlich.


Existenz-Fest. Hermann Nitsch und das Theater
5. Februar bis 8. Mai 2016