Die Fotostiftung Schweiz erschließt das Archiv des Westschweizer Fotografen Marcel Bolomey (1905–2003), der zu den ersten offiziellen Fotografen der Vereinten Nationen gehörte. Ein bedeutender Teil seines Nachlasses, insbesondere Aufnahmen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, ist nun über das Bildarchiv Online zugänglich.
Mit der Erschließung dieses fotografischen Nachlasses wird ein weiteres wichtiges Archiv der Schweizer Fotogeschichte langfristig gesichert. Bolomeys Werk umfasst rund 30.000 Aufnahmen, die bedeutende politische, gesellschaftliche und kulturelle Ereignisse der 1930er- und 1940er-Jahre dokumentieren. Mit seinem ausgeprägt humanistischen Blick fotografierte Bolomey nicht nur Schauplätze des Weltgeschehens und prominente Persönlichkeiten, sondern auch eindrückliche Alltagsszenen im Raum Genf.
Die Fotostiftung Schweiz hat das zuvor in den USA aufbewahrte Archiv mit Unterstützung der Gottfried Keller-Stiftung übernommen, aufgearbeitet und konservatorisch gesichert. Durch die Digitalisierung einer repräsentativen Auswahl von 2375 Bildern wird dieses nahezu vergessene fotografische Werk wieder zugänglich und steht für Forschungs-, Ausstellungs- und Publikationszwecke zur Verfügung.
Sicherung und Digitalisierung des Nachlasses
Das Archiv von Marcel Bolomey besteht zu einem Großteil aus Negativen auf Nitratbasis – Abzüge und Kontaktkopien sind nicht vorhanden. Cellulosenitrat als Trägermaterial stellt Archive vor besondere konservatorische Herausforderungen. Nitratfilme sind leicht entzündlich und instabil. Sobald die Zersetzungsprozesse einsetzen, entweichen gesundheitsschädliche Gase, die auch umliegende Materialien gefährden. Daher war eine rasche konservatorische Sicherung, Erschließung und Digitalisierung dieses Archivs dringend erforderlich, um es langfristig zu erhalten und zugänglich zu machen.
Bolomeys Negativarchiv sowie die publizierten Reportagen sind heute die wenigen überlieferten Zeugnisse seines fotografischen Schaffens. Die 30.000 gesicherten Schwarzweißaufnahmen wurden mehrheitlich auf Mittelformatfilm fotografiert. Neben einigen ebenfalls schwarz-weißen Kleinbildnegativen wurden etwa 50 Farbfilm-Diapositive entdeckt, die nach Bolomeys Emigration in die USA entstanden sind.
Leben und Werk
Marcel Bolomey wurde 1905 in Carouge bei Genf geboren. Nach dem frühen Tod seiner Mutter, die aus der Gemeinschaft der Jenischen stammte, wuchs er bei seiner Großmutter in sehr bescheidenen Verhältnissen auf. Nach deren Tod wurde ihm die Möglichkeit verweigert, seine Ausbildung fortzusetzen. Stattdessen musste er als Jugendlicher auf einem Bauernhof arbeiten. Mit Anfang zwanzig entdeckte Bolomey seine Leidenschaft für den Radsport und begann als Autodidakt, für die Zeitschrift seines Radsportvereins zu fotografieren.
In den 1930er-Jahren entschied er sich, die Fotografie zu seinem Beruf zu machen. Es folgten Aufträge für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, darunter die Schweizer Illustrierte, L’illustré und die britische Daily Express. Als Fotojournalist in Genf hielt Bolomey das Leben und den Alltag in einer Zeit des Umbruchs sowie verschiedene Kongresse des Völkerbunds fotografisch fest. Während des Zweiten Weltkriegs entstanden wichtige Reportagen, etwa über die Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes, die den humanitären Einsatz der Schweiz im europäischen Kriegsgeschehen zeigen. Ab 1944 berichtete er als Kriegsreporter für die Schweizer Illustrierte Zeitung aus den umkämpften Regionen in Frankreich und später in Italien und Deutschland. Für viele dieser Reportagen verfasste er auch die Texte selbst. 1945 sorgten seine Aufnahmen des in Mailand hingerichteten Mussolini für Aufsehen. Als offizieller Fotograf der neu gegründeten UNO dokumentierte er 1946 die erste Generalversammlung in London.
Regelmäßig fotografierte er auch Sport- und Kulturveranstaltungen. Im Bildarchiv Online lassen sich zudem eindrucksvolle Porträts zahlreicher Persönlichkeiten aus Politik und Kultur entdecken, darunter Edith Piaf, Winston Churchill, Haile Selassie und Ella Maillart.
1947 emigrierte Bolomey in die USA, änderte seinen Namen zu „Bolomet” und gab die Fotografie allmählich auf. Die wenigen erhaltenen Bilder aus dieser Zeit zeigen Momentaufnahmen des kalifornischen Alltags. In den 1960er-Jahren unterrichtete er bis zu seiner Pensionierung Französisch am California Institute of Technology sowie an der University of Southern California. Marcel Bolomey starb 2003 in Hawaii.
Rückführung des Archivs in die Schweiz
Nach seiner Pensionierung engagierte sich Marcel Bolomey als freiwilliger Mitarbeiter am Getty Museum in Malibu, wo er Robert Brecko Walker kennenlernte. Walker war damals Supervisor des Photography Departments des Getty Research Institute. Bolomey vertraute ihm schließlich sein Archiv an. Gemeinsam stellten sie eine Auswahl von rund 660 Bildern zusammen, die sie als besonders wichtig für das Gesamtwerk einstuften.
Im Jahr 2016 nahm Walker Kontakt mit der Fotostiftung Schweiz auf, um eine geeignete Institution für die dauerhafte Sicherung des Bestandes zu finden. Nach der Sichtung des Archivs in Los Angeles durch den damaligen Direktor der Fotostiftung Schweiz, Peter Pfrunder, wurde das Bolomey-Archiv mit Mitteln der Gottfried Keller-Stiftung angekauft und als Dauerleihgabe in die Fotostiftung Schweiz in Winterthur überführt. Die Urheberrechte liegen bei der Schweizerischen Eidgenossenschaft, die Nutzungsrechte werden von der Fotostiftung Schweiz verwaltet.
Einladung zur weiteren Forschung
Im Jahr 2022 zeigte die Fotostiftung Schweiz eine Auswahl jener Reportagen, die Bolomey zwischen 1939 und 1945 für die Schweizer Illustrierte Zeitung realisiert hatte. Die Ausstellung präsentierte Doppelseiten aus der „Schweizer Illustrierten Zeitung” mit einer Auswahl an Einzelaufnahmen aus derselben Zeit. Die Bestände der Schweizer Illustrierten Zeitung gehören zur Sammlung der Fotobibliothek, die als Präsenzbibliothek öffentlich zugänglich ist.
Erste Vermittlungsprojekte, darunter die Zusammenarbeit mit dem Magazin Sept und dem Musée de Carouge, wurden bereits realisiert. Kulturschaffende, Historiker:innen, Forschende sowie die Medien sind herzlich eingeladen, mit Bildern aus dem Marcel-Bolomey-Archiv zu arbeiten. Die Fotostiftung Schweiz freut sich über Rückmeldungen und ergänzende Informationen, insbesondere zu Datierungen und Ortsangaben, von Forschenden und interessierten Privatpersonen.
Aktuell sind rund 1000 Bilder im Bildarchiv Online zugänglich. Weitere Aufnahmen werden laufend hinzugefügt.
Bildarchiv Online: Marcel Bolomey
Index der Fotograf:innen: Marcel Bolomey
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