Etel Adnan. Berge schreiben

Das Museum der Moderne Salzburg präsentiert als erste Institution in Österreich das vielseitige Werk von Etel Adnan, die 1925 in Beirut (Libanon) geboren wurde und nach Stationen in Paris, New York und Sausalito in Kalifornien derzeit wieder in Paris lebt. Adnan hat sich als Schriftstellerin, Dichterin, Künstlerin und Kulturredakteurin international einen Namen gemacht. Zu ihren wichtigsten Büchern zählen "Sitt Marie-Rose" (1977), "Arabische Apokalypse" (1980) und "Reise zum Mount Tamalpais" (1986).

Bereits 1959 beginnt Adnan, sich parallel zu ihrer schriftstellerischen Tätigkeit der bildenden Kunst zu widmen. Anhand einer Auswahl von rund zweihundert Werken zeichnet die Ausstellung die künstlerische Entwicklung Etel Adnans von den 1960er-Jahren bis heute nach und umfasst Medien wie Malerei, Arbeiten auf Papier, Tapisserie und Film. Tonaufnahmen sowie eine Auswahl ihrer Publikationen, die in zahlreichen Sprachen erschienen sind, komplettieren die Werkschau.

Den Großteil der Ausstellung nehmen Adnans kleinformatige Gemälde ein. Ihr durch Farbflächenmalerei geprägtes Frühwerk, das an Architektur erinnert, wird oft mit dem von Nicolas de Staël verglichen. Werke von Paul Cézanne, Paul Klee und Pablo Picasso finden darin stilistischen Widerhall. Seit jeher üben Berge eine besondere Faszination auf Etel Adnan aus – sie stellen daher das Leitmotiv in der Ausstellung dar. Eine wichtige Quelle ihrer Inspiration ist der Mount Tamalpaïs nördlich von San Francisco, den Etel Adnan tagtäglich von ihrem Arbeitszimmer aus beobachten konnte und der für sie zu einer Art "Zuhause" wurde.

Dieser Berg steht Pate für ihre Auslotung kontrastreicher Farben und der Grenzen zur Abstraktion. So wirken Adnans Bilder wie Seelenlandschaften, in denen die poetische Sprache der Künstlerin eine visuelle Entsprechung findet. Durch ihre flüchtige Arbeitsweise repräsentieren Adnans Werke die Unmittelbarkeit ihres ästhetischen Ausdrucks. Sie sind Studien zu Farbe und Form sowie Skizzen zu Landschaften, insbesondere zum Mount Tamalpaïs. Über die Jahre entstanden so Tausende Arbeiten, die den Berg in unterschiedlichen Farben, Lichtsituationen, Jahres- und Tageszeiten zeigen.

Einen besonderen Stellenwert innerhalb ihres Schaffens nehmen seit 1964 Leporellos ein. Adnan empfindet das Schreiben als eine Art zu zeichnen. Auf japanischem Papier, das wie traditionelle Emakimonos harmonikaartig in Buchform gefaltet wird, vereint die Künstlerin Schrift und Bild, Text und Zeichnung. Etel Adnan greift hier meist auf Gedichte zeitgenössischer arabischer Dichter, wie Badr Shakir Al-Sayyab, zurück. Selten wählt die Künstlerin eigene Texte für ein Leporello, wie in Reise zum Mount Tamalpaïs (2008), das in der Ausstellung zu sehen ist.

Seit den späten 1950er-Jahren gestaltet Adnan auch Teppiche und Tapisserien. Ein Großteil ihrer Entwürfe entstand für öffentliche Gebäude, unter anderem für die Bibliothek des Dominican College in San Rafael (Kalifornien), an der die Künstlerin Philosophie unterrichtete. Daher betrachtet Adnan diese Arbeiten als eine Form von Kunst im öffentlichen Raum. Technisch entsprechen die Tapisserien den klassischen gewobenen Kelims aus dem Vorderen und Mittleren Osten, die auf eine jahrhundertelange vorislamische Tradition zurückgehen. Besonders wichtig ist ihr – in Anlehnung an Wassily Kandinsky –, die Bewegtheit der Farben sichtbar zu machen.

Das Einfangen ihrer persönlichen Wahrnehmung ist Thema in etwa siebzig Kurzfilmen, die Etel Adnan in den 1980er-Jahren auf Super-8-mm-Film gedreht hat. In dem insgesamt etwa zweistündigen Filmmaterial zeichnete sie scheinbar unbedeutende Augenblicke und Beobachtungen auf: den Mount Tamalpaïs, den Pazifischen Ozean, Vögel bei ihrem Flug über den Berg. In New York stand Adnan ein Apartment im 34. Stock zur Verfügung, von dem aus sie mehr als sieben Brücken sehen konnte. Sie filmte diese Brücken, den Fluss und vorbeiziehende Schiffe. Ebenso nahm sie Naturphänomene wie Sonnenuntergänge, Wasserfälle oder den Nebel auf. Den Fokus legte sie dabei nicht auf das Sujet, sondern auf das eingefangene Licht, die Farben und die Bewegung.

Mit ihren Arbeiten setzt sich Etel Adnan vielseitig über sprachliche, kulturelle und geografische Grenzen hinweg. Die unterschiedlichen Ausdrucksweisen stellen Facetten ihrer Identität dar, die die Künstlerin als einen sich ständig wandelnden Prozess ansieht.


Etel Adnan. Berge schreiben
15. November 2014 bis 8. März 2015