Ernst Caramelle. Ein Résumé

Das mumok zeigt unter dem Titel Ein Résumé die erste umfassende Retrospektive zum Werk des österreichischen Künstlers Ernst Caramelle. Die Präsentation dokumentiert alle Werkphasen von 1974 bis in die Gegenwart. Als Resümee hat der Künstler schon 1976 seine multimediale Abschlussarbeit an der Hochschule für angewandte Kunst bezeichnet, eine Kartonbox, die 23 Zeichnungen und Collagen, zwölf Fotografien, einen Super-8-Film, ein Tonband und ein Objekt beinhaltet und in der bereits nahezu alle Medien und Verfahrensweisen versammelt sind, die der Künstler bis heute einsetzt.

Die Ausstellung "Ein Résumé" greift auf diese selbstbewusst-ironische Setzung Ernst Caramelles am Beginn seiner Karriere zurück und zeigt das Werk Resümee in einer Umkehrschleife am Ende des Ausstellungsparcours, in dem Medien und konzeptuelle Verfahrensweisen anspielungsreich ineinandergreifen. Erst über die wechselseitigen Bezüge zwischen den Werken erschließen sich die reichhaltigen Überlegungen und Bildfindungen des Künstlers. So wird eine Annäherung an Ernst Caramelles Methode möglich, ohne deren subtil-strategische Verklausuliertheit preiszugeben.

Die Retrospektive ist darauf angelegt, diese durchgehende Referenzialität zwischen den unterschiedlichen Medien – der Zeichnung, der Malerei der sogenannten "Gesso Pieces" sowie der Lichtarbeiten, der Wandmalerei, von Fotografie und Video, der Druckgrafik und der medialen Interventionen – in der Verschränkung des Thematischen mit dem Chronologischen greifbar zu machen. Neben rund 350 Arbeiten aus vier Jahrzehnten, die im Rahmen der Retrospektive gezeigt werden, realisiert Ernst Caramelle für das mumok zwei neue ortsspezifische Wandmalereien, die mit dem Raumkonzept und dem gesamten Œuvre gedanklich und methodisch verzahnt sind.

Von Sabine Folie in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler kuratiert, ermöglicht die Ausstellung neue Sichtweisen auf Caramelles Werk ebenso wie eine kunsthistorische Neubewertung und -verortung im Gesamtkontext nationaler und internationaler konzeptueller Strategien seit den 1970er-Jahren. Bereits damals bewegt sich Ernst Caramelle als junger Künstler zwischen den Medien Film, Fotografie und Zeichnung. Zwischen 1973 und den frühen 1980er-Jahren fertigt er Hunderte von Zeichnungen an, die schließlich 1981 in einer Reihe von Ausstellungen gezeigt und im Künstlerbuch Blätter 1973–1978 publiziert werden. Eine Auswahl davon ist in der Ausstellung im mumok zu sehen.

Diese Zeichnungen markieren eine Strategie, die man als gegen den Strich gebürstetes disegno -Konzept interpretieren kann: Es verweist im degressiven Skribbeln und Zeichnen in Denkschleifen und in sprachlichen Anspielungen auf literarische Traditionen der Romantik und der Avantgarden des 20. Jahrhunderts. Themen wie die Verortung des Künstlers und generell seiner Tätigkeit sind dabei bestimmend. Es tauchen auch erste "Codes" des Caramelle’schen Kosmos auf, wie beispielsweise diverse Alter Egos, das Zick Zack oder das Haus, die Caramelle später sukzessive erweitern wird. Sein Gespür für Bildwitz und Slapstick, für comichafte Elemente mit nonsensischen Untertönen trägt dazu bei, "reine" Formen, ob in der Zeichnung oder etwas später in der (abstrakten) Malerei, zu unterlaufen. Dazu gehört, dass seine Arbeiten den Charakter des Beiläufigen und Flüchtigen forcieren.

Hintersinn, Ironie, das Paradoxe und eine akribische Untersuchung der Bedingungen unserer Wahrnehmung setzt der Künstler bereits von Beginn an methodisch ein. So entstehen in den 1970er-Jahren während Caramelles Research-Stipendium am MIT (Cambridge, MA) erste Videoarbeiten und die Installation Video-Ping-Pong (1974), in denen er die Veränderung der Realität und deren Wahrnehmung durch die neuen Technologien ontologisch untersucht. In den frühen 1980er-Jahren beginnt Ernst Caramelle, sein semiotisches und mediales Vokabular weiter auszudehnen. Das ingeniöse, schnelle Medium der Zeichnung wird um die Malerei erweitert, wobei der Künstler einmal mehr Konventionen unterläuft: Er bevorzugt die Wand bzw. Holz oder Karton als Bildträger. Der klassische Kreidegrund ist in seinen Gesso Pieces als die eigentliche malerische Oberfläche ausgewiesen, die er abwechselnd mit Wasserfarbe, Tinte oder Acryl bemalt.

Im Wechsel von Wandmalerei und Tafelbild werden auch die Parameter der Malerei anders definiert: Der Raum wird entgrenzt gedacht und gleicht einem Vexierbild, das zwischen Zwei- und Dreidimensionalität wechselt. Später entstehen erste Aquarelle, die ähnlichen Prinzipien folgen wie die "Gesso Pieces", aber teilweise narrativer sind. Die Oberflächen der Bilder sind Versuchsanordnungen über das Wesen des Ausstellens, über Kunst und Kunstproduktion. Abstraktion und zeichenhafte Figuration sowie florale Formlosigkeit spielen hier wie auch in den Zeichnungen ständig ineinander – als Form einer testenden, kritischen, anarchisch-entgrenzenden Haltung. Zu Beginn der 1980er-Jahre entstehen auch die ersten Lichtarbeiten. Arbeiten, die gänzlich ohne die gestische Handschrift des Künstlers auskommen und als Materialangabe die poetische Bezeichnung "Sonne auf Papier" tragen. Der Künstler verfertigt hierfür Schablonen, die er auf buntes Papier schichtet, um es monate- oder jahrelang direkter Sonneneinstrahlung auszusetzen. So entstehen Arbeiten aus sich verflüchtigender Farbe und verrinnender Zeit.

Plakate, Postkarten und Künstlerbücher, die Ernst Caramelle seit den 1970er-Jahren für seine Ausstellungen immer selbst entworfen hat, sind ebenfalls integrale Bestandteile seiner künstlerischen Praxis, ebenso wie mediale Interventionen und das Bearbeiten von medialen Bildern in den Siebdrucken.


Katalog zur Ausstellung: "Ernst Caramelle. Ein Résumé", Hg.: Sabine Folie, Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien; Vorwort: Rainer Fuchs und Karola Kraus; Essays: Sabine Folie, Ulrich Loock, Beate Söntgen. Grafische Gestaltung: Salome Schmuki, St. Gallen/Brüssel; Hardcover, 400 Seiten; ca. 700 Abbildungen, großteils in Farbe
Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2018. Deutsche Ausgabe: ISBN (mumok): 978-3-902947-61-1, ISBN (König): 978-3-96098-479-7. Verkaufspreis: 38 Euro

Ernst Caramelle. Ein Résumé
30. November 2018 bis 28. April 2019
Eröffnung: Do 29. November 18, 19 Uhr