Eine Weltmarke der Keramik

Figuren des Wiener Labels Goldscheider waren in den Twenties internationale Hits und trafen den Geschmack eines breiten Publikums. Sie brachten Glamour und Erotik in biedere Haushalte und wurden zum Inbegriff des Lifestyle-Accessoires, das Sehsüchte weckte. Waren die gefälligen Figuren "Geschmacksverirrungen" und "Kunstsurrogate", wie ein Zeitgenosse meinte? Oder zählen sie doch zu den Highlights der Keramik? Ob Pop oder Kunst: Heute sind Goldscheider-Keramiken teuer gehandelte Sammlerstücke, auch Stars wie Whoopi Goldberg, Barbra Streisand oder Elton John erliegen ihrem Charme.

Das 1885 gegründete Unternehmen Goldscheider reüssierte zunächst mit orientalischen Figuren sowie Wiener Typen, ab 1910 mit Biedermeier- und Rokoko-Figuren. Nach Historismus und Jugendstil orientiert man sich stilistisch ab den 1920er Jahren an Art déco. In der Zwischenkriegszeit erreichte Goldscheider seinen Zenit mit Bestsellern wie "Gefangener Vogel" oder dem berühmten Scotch-Terrier. Die Vorlagen für die beliebten Nippes fanden sich in den auflagestarken Illustrierten dieser Jahre: der Bubikopf, Stars aus Film und Revue, die Golfspielerin. Typisch sind die schillernd-bunte Bemalung, die große Pose und verlockende Namen wie "Surprise", "Naschkätzchen" oder "Herzensdieb".

Die Ausstellung "Breiter Geschmack", die vom 22. November 2007 bis 10. Februar 2008 im Wienmuseum Karlsplatz zu sehen ist, erzählt, wie es zu dieser "Weltmarke aus Wien" kam – ein Lifestyle-Reigen zwischen Kitsch, Kult und Kommerz. Gezeigt werden rund 250 exemplarische Produkte aus dem Hause Goldscheider, zum größten Teil aus dem Bestand des Wien Museums. Fotos von Wohnsituationen und Modellvorlagen aus populären Medien fangen Zeitstimmung ein, zur Firmengeschichte kommen Porträts passionierter Goldscheider-Sammler.

Der kommerzielle Erfolg Goldscheiders basierte auf einem äußerst effizienten Geschäftsmodell: Von Beginn an setzte die "Porzellan-Manufactur und Majolica-Fabrik" auf seriell produzierte, hochwertige Ware, die von bestens ausgebildeten jungen Künstlern entworfen wurde. Stets arbeitete man mit neuesten Produktionsmethoden, eine innovative Farb-Spritztechnik verhalf etwa dem Modell "Gefangener Vogel" zu seinem Durchbruch. Eine riesige Produktpalette – Figuren, Büsten, Tiere, Masken, Gefäße, Lampen etc. – kam den unterschiedlichsten Kundenwünschen entgegen, insgesamt gingen in 70 Jahren über 10.000 Modelle in Produktion. Die Figuren wurden in verschiedenen Größen und Materialien (Terrakotta, Fayence, Bronze, Alabaster) angeboten und waren preislich abgestuft, um auch weniger wohlhabende Schichten zu erreichen. Dazu kam ein enges internationales Vertriebsnetz mit Niederlassungen in Paris, Florenz, Leipzig und Berlin: Bereits um 1900 gingen 90 Prozent der Ware ins Ausland, wo man sich innerhalb weniger Jahre einen ausgezeichnete Ruf erwarb – nicht zuletzt dank der Präsenz auf den wichtigsten kunstgewerblichen Ausstellungen und Messen.

Essentiell für den Erfolg der Marke war die ständige Suche nach neuen Motiven und aktuellen Trends, die man zum Beispiel bei der Konkurrenz ebenso finden konnte wie in Zeitschriften oder im Kino. Als in den 1920er Jahren der Tanz einen Boom erlebte und man in Revuen den beschwerlichen Alltag vergessen konnte, warf Goldscheider Tänzerinnen-Figuren auf den Markt. Überhaupt triumphiert auf der Goldscheider-Bühne die Weiblichkeit: Die sinnlichen Glamour-Girls und mondänen Damen wurden als "Idole gleichsam der Sehnsucht, die in jeder Frau lebt" gepriesen (obwohl sie wohl eher Projektionen männlicher Phantasie waren).

Männliche Figuren findet man hingegen seltener, zunächst noch in Form von Exoten und antiken Heroen, später dann als Künstlergenies, Schauspieler, Pierrots und Harlekine. Als absolute Verkaufsschlager erwiesen sich liebliche Kinder- und niedliche Tierfiguren. Der Scotch-Terrier, entworfen von der Künstlerin Ida Meisinger, wurde zum Welterfolg und in unzähligen Varianten produziert, die ihn "vermenschlicht" zeigen – zum Beispiel beim Bücher lesen oder Karten spielen.

"Schöne Keramiken gehören in ein gepflegtes Heim wie echte Bilder und schöne Teppiche", postulierte die "Moderne Welt" im Jahr 1927. Im modernen Wohnraum, der die Überladenheit des 19. Jahrhunderts hinter sich gelassen hatte, fungierten Goldscheider-Keramiken als inszenierte Schmuckstücke in Vitrinen oder am Kaminsims. Einzeln oder in Kleingruppen aufgestellt, sorgten sie für Atmosphäre und bezeugten zugleich den Geschmack des modebewussten Besitzers. "Charme, Geschmack und Gediegenheit", lautete ein Werbeslogan der Firma Goldscheider. Ein zeitgenössischer Kommentar bringt es ebenfalls auf den Punkt: "Leicht, unbeschwert, sorglos, trotz Krise und allgemeiner Missstimmung – das ist der Grundzug dieser heiteren Kleinkunst."

Die Manufaktur Goldscheider war die erste einer Reihe von Keramikwerkstätten, die um 1900 in Wien entstanden. Der Familienbetrieb überlebte als einziger alle politischen, wirtschaftlichen und künstlerischen Brüche der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Andere Werkstätten gingen in diesen Jahren in Konkurs oder fusionierten. Seit den 1890er Jahren gab es in Paris eine eigene Bronzewerkstatt, die Entwürfe französischer Künstler verlegte. Innerhalb des Wiener Unternehmens kam es immer wieder zu Konflikten, in deren Folge 1928 die "Vereinigten Ateliers für Kunst und Keramik" gegründet wurden, die auf hochwertigere Produkte setzten. Die Künstler sollten direkt die Reproduktion ihrer Modelle vornehmen oder zumindest überwachen, um ihnen den Charakter von Originalausführungen zu verleihen.

1938 wurde die Firma Goldscheider "arisiert" und in den Kriegsjahren von Josef Schuster geleitet, dessen Frau Lilly dafür sorgte, dass neue Modelle der herrschenden NS-Ästhetik entsprachen. So entstanden bäuerliche Figuren in groben Formen und Aktfiguren mit keuschem Gesichtsausdruck und sittlicher Haartracht. Letztere blieben bis in 1950er Jahre hinein populär. Nach der Rückgabe an die ursprünglichen Eigentümer versuchte der mittlerweile betagte Walter Goldscheider einen letztlich erfolglosen Neustart. 1953 wurde die Marke Goldscheider an die deutsche Firma Carstens verkauft, die sie bis 1960 weiterführte. Die letzten Modelle entsprachen dem neuesten Zeitgeschmack: Nun schmückte man sein Heim mit dunklen Masken, Aktfiguren und Exotischem aus Asien und Afrika.


Breiter Geschmack - Goldscheider. Eine Weltmarke aus Wien
22. November 2007 bis 10. Februar 2008