Eine atemberaubende Salome in der Wiener Staatsoper

7. Februar 2023 Martina Pfeifer Steiner —
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Salome ist wohl eine der heftigsten Opern überhaupt: schon von der geschilderten Familientragödie her, von der Musik eines Richard Strauss, der damit die Klang- und Moralvorstellungen seiner Zeit sprengte, und darüber hinaus vom intensiven Text her, denn Oscar Wildes Einakter wurde vom Komponisten ohne librettistische Umformung vertont. Was der französische Regisseur Cyril Teste und der musikalische Leiter Philippe Jordan in der Wiener Staatsoper zustande bringen, ist die eindringlich-mehrschichtige Erzählung über eine begehrenswerte und schwer traumatisierte junge Frau

Unvermittelt, ohne Ouvertüre beginnt das Spiel, wenn der verliebte Hauptmann Narraboth die feiernde Gesellschaft beobachtet, und Unheil ahnend singt: "Wie schön ist die Prinzessin Salome heute Nacht!" Als aufdeckende Beobachterin wird obendrein eine Live-Kamera eingesetzt, welche Gestik, Mimik der Gäste und die heimlichen Übergriffe Herodes' herauszoomt und allseits sichtbar als großes Hintergrundbild projiziert.

Narraboth ist es dann auch, der dem Insistieren Salomes nachgibt und trotz absolutem Verbot des Tetrarchen den gefangenen Propheten aus der Zisterne hochsteigen lässt. Immer wieder sind die Mahnungen des Jochanaan zu vernehmen – hallend aus dem gleichen Kerker, in dem der Vater Salomes viele Jahre lang dahinsiechte –, der unaufhörlich ihre Mutter Herodias anklagt. Der unnahbare Jochanaan weckt in Salome Sehnsucht und Begierde. Sie will gesehen werden, gehalten. Dass dies auch zu einer Begegnung mit dem getöteten Vater wird, verbildlicht ihr personifiziertes kindliches Alter-Ego sehr berührend. Die beginnende Selbst- und Fremdzerstörung wird schlüssig durchinszeniert, ebenso Salomes Gleichgültigkeit, wenn sich der verzweifelte Hauptmann so ganz nebenbei die Kehle durchtrennt. Sie ist der Welt abhandengekommen und steigert sich in obsessive Begierde hinein, sie will des Propheten Haare, seinen Körper berühren, seinen Mund küssen.

Der Schleiertanz wird zum dramatischen Klang- und psychologischen Farbenrausch einer Missbrauchsschilderung. Die erwachsene Salome bewegt sich zunächst lasziv-herausfordernd vor dem lüsternden Stiefvater Herodes. Er wird zum Lohn ihren makabren Wunsch erfüllen müssen, darauf hat er einen Eid geschworen, und weiß noch nicht, was sie begehrt. Von Takt zu Takt zeigt Salome immer deutlicher autoaggressive Züge. Und wenn dann wieder ihr junges Alter Ego auftaucht und weitertanzt, wird die Traumatisierung einer kindlichen Gewalterfahrung noch sichtbarer. Aufsteigender Moschusduft verdichtet die Atmosphäre, trägt das Publikum in eine weitere hoch emotionale Dimension. Der Parfümeur Francis Kurkdjian verwendet "Gerüche, wie ein Maler Farben einsetzt, ein Schriftsteller Worte und ein Musiker Noten spielt". Das ist beeindruckend.

Der einst blaue Mond – der für Oscar Wilde als Projektionsfläche von Sehnsucht und Ängsten eine große Rolle spielt – ist längst blutrot, wenn der Henker den Kopf des Jochanaan als eine Maske darreicht. Orgiastisch spielt das Orchester unter seinem Noch-Chef Philippe Jordan – mit voller, gewaltiger Wucht erschütternd, dann wieder ergreifend Stille beschwörend. Atemberaubend. So küsst Salome den toten Kopf des Jochanaan und beißt in seine Lippen, " ... es hat gut geschmeckt ... ich habe ihn geküsst, deinen Mund." Voller Grauen ruft Herodes: "Man töte dieses Weib!" Ende. Stille. Und dann bricht der Begeisterungssturm des Publikums los.

Wiener Staatsoper
Salome Richard Strauss
Musikdrama in einem Aufzug nach Oscar Wilde
in der Übersetzung von Hedwig Lachmann

Musikalische Leitung: Philippe Jordan
Inszenierung: Cyril Teste
Künstlerische Mitarbeit: Céline Gaudier
Bühne: Valérie Grall
Kostüme: Marie La Rocca
Licht: Julien Boizard
Video: Mehdi Toutain-Lopez
Video - Live Kamera: Rémy Nguyen
Choreographie: Magdalena Chowaniec

Herodes: Gerhard Siegel
Herodias: Michaela Schuster
Salome: Malin Byström
Jochanaan: Wolfgang Koch
Narraboth: Daniel Jenz
Page: Patricia Nolz
Die kleine Salome: Margaryta Lazniuk
Die kleine Salome, Tanz: Anna Chesnova