Ein St.Galler Bildhauer zwischen Tradition und Moderne

Der Bildhauer Wilhelm Meier (1880-1971) hat das St.Galler Stadtbild wesentlich geprägt. Zu seinen Werken zählen der Globusbrunnen beim Rösslitor, das Mädchen mit Krug im Leonhardspark oder die Stehende mit erhobenen Armen im Bahnhofspark. Er war ein Schüler von August Bösch (1857-1911), dem Schöpfer des Broderbrunnens. Meier verfolgte seine künstlerische Weiterbildung in Rom und München, bevor er 1914 im Alter von 34 Jahren nach St.Gallen zurückkehrte.

Meiers Bedeutung für St.Gallen liegt in der Überwindung der neubarocken, jugendstilhaften Plastik der Jahrhundertwende. Er entwickelte eine eigene geschlossene Figurenplastik. Zu seinem Werk gehören auch Kleinplastiken und Grabmäler im privaten Bereich sowie etliche Brunnen und Denkmäler in Gemeinden des Kantons.

Wilhelm Meier kam am 29. August 1880 als dritter Sohn von Konrad Meier und Heinricke Meier-Sonderegger in Unter-Embrach ZH zur Welt. Bald zog die Familie nach Trogen AR, in die Heimat der Mutter. Nach dem frühen Tod des Vaters zog die Mutter die vier Kinder alleine und unter knappen ökonomischen Verhältnissen auf. Schon während des Besuchs der Kantonsschule in Trogen AR wurde klar, dass Wilhelm Meier einen künstlerisch-handwerklichen Beruf wählen würde. Er tritt 1897 die Lehre beim renommierten St.Galler Bildhauer August Bösch an. 1901 zog Wilhelm Meier zusammen mit seinem Lehrmeister nach Rom, um sich dort im Umfeld der sogenannten Deutschrömer weiterzubilden. Von 1909 bis 1914 weilte er in der Kunstmetropole München, wo er sich vor allem von Adolf von Hildebrand und seiner Schule inspirieren liess.

Meier zeigte sich aber stets bemüht, den Kontakt zur Schweiz aufrecht zu erhalten. Er nahm an Wettbewerben teil und führte kleinere Arbeiten in St.Gallen und Zürich aus. So schuf er 1912 die Reliefs an der Gewerbeschule St.Mangen. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges kehrte Meier nach St.Gallen zurück und heiratete ein Jahr später die ebenfalls aus Trogen stammende Berta Schär. Allmählich begann sich Meier in der Stadt als Bildhauer zu etablieren. Er war bis ins hohe Alter schöpferisch tätig und führte zahlreiche öffentliche Werke aus.

Wilhelm Meier hat ein umfangreiches Werk hinterlassen. Angefangen bei Figuren und Reliefs neoklassizistischer Art, schuf er unzählige Brunnen für Dorfgemeinden, Denkmäler für Persönlichkeiten der Region oder Gartenplastiken und Grabmäler. Stilistisch durchlief er eine bescheidene Entwicklung, die ihn vom Neubarock der Jahrhundertwende zu einer eigenen, in sich ruhenden Plastizität führte.

Er schuf im Laufe seines Lebens wenige Figurentypen oder Motive, die er in veränderten Variationen reproduzierte. In der öffentlichen Plastik sowie in der Gartenplastik blieb er der Darstellung des Figürlichen treu. Er schuf hauptsächlich Menschen in verschiedenen Varianten und Haltungen. Auf dem Höhepunkt seines Schaffens, in den 1930er Jahren, stand er damit in der Tradition der schweizerischen Plastik. Damals bestand im Bereich der figürlichen Plastik noch ein weitgehender Konsens in der Auffassung des Menschenbildes. Vorherrschend war eine klassizistisch orientierte, idealisierende Statuenplastik. Erst im Spätwerk zeigt sich eine Tendenz zur Stilisierung und Abstraktion.

Vielen von Meiers körperlich betonten Figuren lagen die Themen "Kraft" und "Stütze - Last" zugrunde. Die Männergestalten zeigten sich im Früh- wie im Spätwerk kräftig und naturverbunden. Bei den Frauengestalten in Form von Marktfrauen oder Landmädchen ist das Tragen von Lasten allgegenwärtig. Charakteristika sämtlicher Figuren sind eine geschlossene Umrissform und die klare Bestimmung der Volumen.

Als Bildhauer schuf Wilhelm Meier Werke im öffentlichen Raum, welche von den Gemeinden oder der Stadt bewilligt und bezahlt wurden. Einen grossen Teil seiner Tätigkeit machte aber auch die Herstellung von Grabmälern aus, die für ihn, neben dem künstlerischen Wert auch eine sichere Einnahmequelle bedeuteten. Seine Tagebucheinträge sind gefüllt mit Notizen zu Aufträgen für Grabmäler unterschiedlichster Leute. Hinzu kamen einzelne Plastiken im privaten Bereich. Nicht zuletzt bot ihm auch die Kirche ein grosses Arbeitsfeld. Er schuf Reliefs und Figuren in und an Kirchen sowie etliche Brunnen auf Kirchenvorplätzen.

Kunst war für ihn ein Dienst an der Gesellschaft. In seinen Aufsätzen versuchte er deshalb beim Leser das Verständnis für Plastik zu wecken: "Plastik ist Körpergefühl, aber auch Raumgefühl. Wenn wir in einem Raum drin stehen, empfinden wir den engen Raum anders als einen weiteren, den hohen anders als den niedrigen; der Mensch selbst wirkt in verschiedenen Stellungen und veränderten Raumverhältnissen immer wieder anders; bald gross und dominierend, bald klein und unbedeutend." Die Berücksichtigung des Raums und der Umgebung für die Entstehung seiner Werke ist wesentliches Merkmal seines Schaffens. Dieses Anliegen zeigt sich ebenfalls in seinen Bemühungen um eine harmonische Friedhofarchitektur.

Die Ausstellung gewährt einen Einblick in die verschiedenen Schaffensbereiche des Künstlers. Die Ausstellungsmodule zeichnen Wilhelm Meiers künstlerische Ausbildungs- und Entwicklungsschritte chronologisch nach und veranschaulichen diese mit Werken aus dem Nachlass. Dabei steht Meiers Figurenplastik im Vordergrund. Es werden Frauen, Männer und Tiere aus dem privaten Werk gezeigt. Diese sind als ausgeführte Werke und in Form von Bozzetti (Modellentwürfen) ausgestellt. Letztere geben einen Eindruck vom Schaffensprozess des Künstlers und zeigen die zunehmende Abstraktion seiner Arbeiten. Die grossen, standortgebundenen Werke des öffentlichen Raums werden anhand von Bildmaterial in die Ausstellung integriert.

Zur Ausstellung erscheint eine Publikation von Tamara Weibel: "Wilhelm Meier (1880-1971). Ein St.Galler Bildhauer zwischen Tradition und Moderne". Historisches und Völkerkundemuseum St.Gallen 2010.

Wilhelm Meier – ein St.Galler Bildhauer zwischen Tradition und Moderne
28. November 2010 bis 18. September 2011