Ein Händchen für vergessene Melodien
Es ist an der Zeit ihn kennenzulernen, einen Musiker von dem sein Freund Sergej Rachmanninow sagte, er sei "der größte Komponist unserer Zeit!" Dies war im Jahre 1921, Rachmanninow war bereits 48, und jener Freund 7 Jahre jünger. Doch nicht alle waren dem russischen Komponisten Nikolai Medtner so wohl gesonnen. Nachdem 1920 seine "Vergessenen Weisen" in Moskau aufgeführt wurden, mußte er eine herbe Kritik von einem "Weisen", den er besser recht schnell vergessen haben sollte, einstecken.
"Das Land tanzt! Während draußen Tod und Verwüstung wüten, während ein Reich in Ruinen zerfällt und ein neuer Staat auf dem blutgetränkten Boden entsteht, schreibt Medtner Pastoralen und Märchen!", empörte sich der ungarische Geiger Albert Jarosy. Und dabei hatte Medtner es gut gemeint, denn er komponierte diese Melodien ja eben zu dem Zwecke, die Zuhörer eine kurze Weile die Schrecken und Qualen des Krieges vergessen zu lassen, und neue Kraft zu schöpfen.
Dieser Nikolai Karlowitsch Medtner war sicher nicht Everybody‘s Darling! Er bezeichnete sich selbst als "Schüler Beethovens" und warnte in seiner Polemik "Muse und Mode" vor den giftigen Gasen der Avantgarde-Musik, die wie kreischendes Hahnengeschrei klänge. Das musikalische Gehör solle gerettet werden, bevor es zu spät sei! Er argumentierte gegen eine musikalische Erziehung für die breite Öffentlichkeit, denn davon könne diese ja gar nicht profitieren! Sie klingen ganz schön arrogant, die Worte Medtners, anders seine Musik.
Im Gegensatz zu Herrn Medtner bin ich der Meinung, daß sowohl eine gewisse soziale (nicht wahr, Herr Medtner!), als auch eine musikalische Erziehung für die breite (und auch für die schmale) Öffentlichkeit außerordentlich bedeutsam sind! Und genau deshalb möchte ich, daß Sie sich diese Piano-Raritäten einmal anhören. Die "Forgotten Melodies", es sind derer fünf und auch die unvergeßensten und bekanntesten Melodien Medtners, wurden nun in den Reigen der Piano-Raritäten (eine Serie von Crystal-Classics im Vertrieb von Q-rious) aufgenommen. Doch nicht nur diese, sondern ebenso seine acht Stimmungsbilder op.1, die er bereits im Alter von 18 Jahren komponierte, und die Sonatentriade präsentiert uns die Pianistin Ekaterina Derzhavina auf dieser CD.
Er mag arrogant gewesen sein und vielleicht war Toleranz nicht sein Ding, er war auch nicht der größte Komponist jener Zeit (da irrte sich Rachmanninow), doch war er ein Meister seines Faches mit sowas von einer russischen Seele! Und für jene russisch-musikalische Seele hat Medtners Landsmännin, die 1967 in Moskau geborene Tastenvirtuosin Ekaterina Derzhavina, zwei Händchen!
Aus wie vielen Bildern besteht der Zyklus Stimmungsbilder op.1 von Nikolai Medtner? Senden Sie die richtige Antwort bis zum kommenden Mittwoch an klassik@habmalnefrage.de, und mit etwas Glück schicke ich Ihnen die CD, damit Sie sich ihr eigenes Stimmungs-Bild machen können.
Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt
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