Ein Gericht von franziskanischer Schlichtheit

30. Januar 2012 Kurt Bracharz
Bildteil

Alice Vollenweider erzählt in "Italiens Provinzen und ihre Küche", Berlin 1990, wie sie im umbrischen Restaurant "La Stalls" in Assisi an einem langen Tisch mit anderen Gästen zusammensitzend eine Bohnensuppe mit Teigwaren gegessen hat. Ein Pilgerbus-Chauffeur neben ihr, der Polenta mit Lammragout verzehrte, bemerkte nach einem Blick auf ihr Essen, im Grund gehe doch nichts über einen Teller Pasta e fagioli.

Vollenweider: "Im Gespräch mit diesem Nachbarn, an dem sich auch ein Ehepaar aus Lecce beteiligte, das gegenüber saß, ist mir klar geworden, daß das italienische Nationalgericht weder Pizza noch Spaghetti sind, sondern Pasta e fagioli, die Bohnensuppe mit Teigwaren, die vom Veneto bis nach Kalabrien bekannt und beliebt ist; ein Gericht von franziskanischer Schlichtheit: nahrhaft, billig und ausgesprochen gesund." Nach einigen Ausführungen über das günstige Zusammenspiel von Hülsenfrüchten und kohlehydratreichen Nahrungsmitteln fährt die Zürcher Autorin fort: "So ist denn die Zusammensetzung der Bohnensuppe mit Teigwaren je nach Region verschieden; neben den Kichererbsen werden in Süd- und Mittelitalien auch gern Linsen und dicke Bohnen (fave) verwendet und an die Stelle der stärkehaltigen Teigwaren können auch Reis, Gerste oder Mais treten. (...) Das Spektrum der möglichen Kombinationen wird fast unbegrenzt, wenn man erfährt, daß diese Suppen auch mit Tomaten und Wildgemüsen gut schmecken und daß man sie nicht nur mit Speck und Schinken, sondern auch mit Moules, Crevetten und Fischen kombinieren kann."

Weil vielleicht auch der Autorin an diesem Punkt Bedenken gekommen sind, ob eine Linsensuppe mit Reis, Tomaten und Muscheln tatsächlich noch Pasta e fagioli ist, gibt sie dann ein "klassisches" Rezept für möglichst gartenfrische weiße Bohnen oder Borlottibohnen an, bei dem diese mit Olivenöl, gehackten Zwiebeln, Suppenknochen, Speck, Salz, Pfeffer und Zimt geköchelt werden, bis sie beinahe zerfallen. Dann werden die (anonymen) Nudeln zugesetzt und mitgekocht, bis sie al dente sind. Die Suppe wird mit Petersilie und mit frisch geriebenem Parmesan oder Pecorino bestreut.

Die meisten Autoren, die über Pasta e fagioli schreiben, betonen die Variabilität des Rezepts. In Felice Cùnsolos "Italien. Eine kulinarische Reise", München 1971, wird das so ausgeführt: "Pasta e fagioli, Nudeln mit Bohnen, ist in Italien ein weit verbreitetes Gericht, die Veneter haben ihm jedoch eine ganz besondere Note gegeben. Gewisse Varianten in der Magie des letzten Schliffs, in der Auswahl der Bohnen, des Mehls für die Pasta und des Öls, das alles gehört zu den geheimen Rezepten der Wirte. Einige fügen Fleischbrühe, andere Bratensaft hinzu, wieder andere, etwa die Einwohner von Burano, kochen das Gemüse in Fischsud. Mit oder ohne Pasta spielen Bohnen in der Küche Venetiens immer eine wichtige Rolle, und jede Provinz hat ihre Besonderheit. In der Gegend von Belluno ißt man die fette Suppe von Lamon, bei der die Hülsenfrüchte mit Schweineschwarte, Schweinefüßen und Wurst gekocht wurden, in Venedig Bohnen in Sauce und in der Provinz Padua Polenta mit Bohnen. (...) Außerdem gibt es dort zwei mehr oder weniger kühne Zusammenstellungen: Bohnensuppe mit Wasserhuhn oder mit bòndola, einer besonders guten Wurst. (...) Die seltsamste Mischung aber findet sich in der Gegend von Treviso, wo die Bohnensuppe mit Radicchio, dem dortigen roten Salat, zubereitet wird. In der Provinz Verona werden Nudeln mit Bohnen zu einer komplizierten Suppe verarbeitet, die außerdem Stangensellerie, Karotten, Tomaten, Salbei, Schwarte, braune Mehlschwitze mit Brühe und passiertes Öl enthält, in dem zuvor Zwiebeln gebräunt wurden."

Auch Patricia Wells beginnt ihr Rezept für "Bohnensuppe mit Einlage" in "Trattoria. Rezepte aus Mammas Küche", Cham 1995, mit einem allgemeinen Hinweis: "Es gibt so viele Versionen dieser Bohnensuppe, wie es Köche gibt. Das Spektrum dieses Gerichts, das es in fast jeder Region Italiens gibt, reicht von einer brüheähnlichen Bohnensuppe über ein cremiges Bohnenpüree, das mit einigen ganzen Bohnen und feinen Nudeln akzentuiert ist, bis zu einer dicken Bohnenpaste." Die Autorin selbst verwendet Borlotti oder Weiße Bohnen, ungeräucherte Pancetta, Karotten, Sellerie, Knoblauch, Lorbeer- und Sellerieblätter, und als Pasta Ditali, gebrochene Spaghetti oder Hörnchen.

Für Birgit Müller kommt in "Pasta al dente", München 1995, als Pasta entweder Pasta mista corta wie Tubetti und Ditali oder gebrochene lange Nudeln in Frage. Wie sie erwähnt, gibt es "in Neapel, Kalabrien und Sizilien sogar einen Ausdruck für die Pasta in der Bohnensuppe. Man nennt sie munnezzaglia – das sind die Reste aus verschiedenen Pastatüten."

Das Register des allgemein als Standardwerk für die italienische Küche angesehenen Buches "Der Silberlöffel" (Hamburg 2011) erwähnt ein einziges Gericht mit dem Namen "Pasta e fagioli", der in der deutschen Ausgabe mit "Bohnensuppe mit Nudeln" übersetzt wird. Die Zutatenliste enthält nur getrocknete weiße Bohnen, Olivenöl, passierte Tomaten, "Maltagliati (oder andere rautenförmige Nudeln)", Salbei, Knoblauch, Salz und Pfeffer. Die Bohnen werden nach dem Garen zur Hälfte püriert, Salbei und Knoblauch im Öl angebraten, Bohnenpüree und Wasser zugegeben, gesalzen und gepfeffert und das Tomatenpüree eingerührt. Dann kommen die ganzen Bohnen und nach dem Aufkochen die Pasta dazu. Sobald die Pasta al dente ist, kann die Suppe aufgetragen werden.

Dieses im Kapitel primi piatti angeführte Rezept ist kein explizit vegetarisches, aber nahezu alle Rezepte in anderen Büchern enthalten eine "fleischige" Zutat, meistens Speckschwarte. Bei Allan Bay ("Ein Fest für die Sinne", München 2004) ist es wieder ein Schinkenknochen ("Sollten Sie keinen Schinkenknochen finden, der aber bei jedem Metzger zu haben sein müsste, ersetzen Sie ihn durch einige Stücke Speckschwarte"), und er fügt auch noch gewürfelten Bauchspeck hinzu. Als Pasta kommen für ihn "entweder kleine getrocknete Nudeln oder frische Eiernudeln, die Sie etwas zerkleinert haben" in Frage.

"Mamas Küche in Toskana, Umbrien und Ligurien", München 1993, enthält kein Rezept, das ausdrücklich "Pasta e fagioli" hieße, aber zwei eng verwandte: Pasta e ceci von Vanna Fiorani aus Montalcino, die Kichererbsen und hausgemachte Tagliolini oder Bavette, aber keinerlei Speck verwendet, und Tagliarini nei fagioli von Venanzio Vannucci aus Colonnata, mit "dicken roten Bohnen", Wirsing, Kartoffeln und Speckschwarte.